Rios Endspurt und das Prinzip Hoffnung
Rio de Janeiro (dpa) - Er sagt einmal „Seguro“, „ganz sicher“. Und dann sagt er noch ein zweites Mal „Seguro“. Juliano Penteado steht am Bahnsteig einer Metrolinie, die zum Politikum schlechthin, zum Symbol der Probleme auf dem Weg zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro geworden ist.
Wird sie fertig oder gibt es eine kolossale Blamage? So lautet seit Monaten die Gretchenfrage. Nun ist der Projektleiter Penteado überzeugt: Kurz vor der Eröffnungsfeier rollen hier Züge.
Es ist mit über 2,5 Milliarden Euro das teuerste Olympiaprojekt. Die Linie verläuft vom Strandviertel Ipanema zum Stadtteil Barra, wo der Olympiapark mit den meisten Sportstätten liegt. Von der Endstation geht es per Schnellbussen auf exklusiven Spuren zum Olympiapark.
Es wäre in den meisten Ländern Europas undenkbar. Vier Tage vor Olympischen Spielen mit hunderttausenden Besuchern soll eine kaum getestete, 16 Kilometer lange Metrolinie den Betrieb aufnehmen. In Berlin verzögert sich wegen einer zu komplexen Entrauchungsanlage der Start des neuen Hauptstadtflughafen seit Jahren. Die Metro in Rio teilte vor ein paar Tagen stolz mit: „Zum ersten Mal gibt es im Metrosystem einen Test gegen Feuer.“
Besuch auf der Baustelle: Der Eingangsbereich der neuen Station „Antero de Quental“ ist schick. Ein buntes Fliesengemälde mit einem Surfer, der über blaue Wellen reitet, überrahmt die nach unten fahrenden Rolltreppen. Arbeiter legen letzte Hand an Deckenleuchten. Irgendwie hat so eine ganz neue Linie, die hinten in einen hell erleuchteten Tunnel abgleitet, etwas Sinnliches: der leere Bahnsteig, die Stille. 10 000 Arbeiter waren im Einsatz, nun sind es noch 6000, davon koordiniert Penteado 1600.
Um zu verstehen, welches Debakel eine Nicht-Eröffnung bis Olympia wäre, muss man sich die Topographie vor Augen führen. Nach Barra gibt es von Copacabana und Ipanema aus nur zwei größere Straßen, die Gegend ist von Bergen durchzogen. Auf bisweilen zwei Stunden pro Anfahrt hätten sich Touristen wohl von hier nach Barra einzustellen, wenn statt einer Metro nur Busse fahren. Hier ist fast immer Stau. „2000 Autos sind dort pro Stunde unterwegs“, sagt Penteado. Seine Metro-Linie 4 soll bis zu 300 000 Leute am Tag transportieren.
Aber wenn es am 1. August wirklich losgehen sollte, dann will man nicht gleich mit einem Volllastbetrieb starten. Sondern es wird eine exklusive Olympiametro, so richtig scheint man der Sache nicht zu trauen. Vom 1. bis 5. August, dem Tag der Eröffnungsfeier, dürfen nur Sportler, Delegationsmitglieder, Arbeiter, Techniker und Journalisten mit Akkreditierungen für die Olympischen Spiele die Metro nutzen. Ab 5. August auch alle Leute mit Eintrittskarten. Nach Olympischen und Paralympischen Spielen wird die Metro für alle geöffnet - aber nur von 11 bis 15 Uhr fahren. Nach und nach soll der Zeitraum erweitert werden und vielleicht Ende des Jahres als Vollbetrieb funktionieren.
„1,5 Millionen Menschen wohnen in der West-Zone Rios, viele sind jeden Tag 3 bis 4 Stunden zur Arbeit im Zentrum und zurück unterwegs, für sie ist das ein großer Gewinn“, betont Penteado. „Wir haben hier eine Linie in 3,5 Jahren gebaut, normal sind 6 bis 7 Jahre.“ Aber erst ein Notkredit der Regierung in Brasilia von fast 800 Millionen Euro sorgte dafür, dass unter anderem die Metro finalisiert werden kann. Bis Anfang Juni sah es sehr schlecht aus, nun geht auf den Baustellen ziemlich die Post ab, es ist ein rasanter Schlussspurt.
Die Sportstätten sind alle fertig, ebenso eine 26 Kilometer lange Schnellbuslinie, die Barra mit Deodoro im Norden der Stadt verbindet, wo unter anderem die Reitwettkämpfe stattfinden werden. Bürgermeister Eduardo Paes eröffnete die „Transolímpica“-Linie am 9. Juli, bis zur Olympia-Eröffnung gibt es aber nur einen Testbetrieb für die Fahrer. Bis zum Ende der Spiele ist auch sie exklusiv für die „olympische Familie“, sie kann nur mit der „Olympia-Riocard“ benutzt werden.
Viele Infrastrukturprojekte wurden von dem von deutschen Einwanderern gegründeten Baukonzern Odebrecht gebaut; von der Metro bis zum Ausbau des Flughafens, der nun 17 Millionen Passagiere im Jahr abfertigen kann, aber mit sehr weiten Wegen ankommende Passagiere verschreckt. Von einer riesigen Leitzentrale wird das Nahverkehrssystem gesteuert. In der Spitze sollen bis zu 426 752 Olympia-Fahrgäste am Tag mit Metro, Bussen und Bahnen transportiert werden, hat die Stadt penibel ausgerechnet. Der Spitzentag werde demnach der 16. August sein.
Vieles steht auf wackligen Beinen. Aus Sicht der Kritiker stellt sich zudem die Frage, ob es auch bei Olympia Korruptionsfälle gegeben hat. Odebrecht steht im Fokus eines Skandals um Schmiergeldzahlungen bei Auftragsvergaben des halbstaatlichen Petrobras-Konzerns, Ex-Chef Marcelo Odebrecht wurde zu 19 Jahren und 4 Monaten Haft verurteilt.
Paes selbst sagt, Olympia sei „eine vertane Chance für Brasilien“. „Mit dieser ganzen ökonomischen und politischen Krise, mit all diesen Skandalen, ist es nicht der beste Moment, um im Fokus der Welt zu stehen.“
Nicht gelöst werden konnte zudem ein großes Umweltproblem. In der Guanabara-Bucht, wo die Segelwettbewerbe stattfinden, soll nun ein Abwasser-Rohrsystem das bisherige direkte Einlaufen Bakterien und Viren aus dem Krankenhäusern und Haushalten verringern, zudem sollen Barrieren Müll aus dem Segelrevier fernhalten. Zwar kommen die Spiele gerade zur Unzeit, aber Paes setzt auf die Begeisterungsfähigkeit der Bewohner und die Macht der Bilder aus dieser wundervollen Stadt.
Dank der Finanzspritze der Regierung konnten ausstehende Gehälter bezahlt werden, unter anderem für die Polizei, das ist mit Blick auf die Sicherheit wichtig. 85 000 Sicherheitskräfte, über doppelt so viele wie in London, sollen für sichere Spiele sorgen - schon jetzt patrouillieren schwer bewaffnete Militärs, der IS-Terror hat zu einer Verschärfung der Maßnahmen geführt. Letztlich sind die Spiele eine Wundertüte - nach all den negativen Schlagzeilen liegt in der Krise auch eine Chance: Rio2016 kann ja vielleicht positiv überraschen.