Sörgel: Hohes Potenzial für Nikotindoping im Eishockey
Sotschi (dpa) - Dopingfreie Olympische Winterspiele wird es auch in Sotschi nicht geben. Das Kontrollprogramm ist zwar das umfangreichste der Olympia-Geschichte - doch bringt es etwas? Der Doping-Experte Fritz Sörgel glaubt dies nicht.
„Die Zahl des Dopings überführten Sportler steigt nicht signifikant“, sagte der Pharmakologe in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. Er warnte zugleich vor neuen Doping-Mixturen und Nikotindoping im Eishockey.
Wie würden Sie die derzeitige Phase der Dopinghistorie bezeichnen?
FritzSörgel: Die Geschichte der Arzneistoffe ist auch die Geschichte der Dopingmittel und im letzten Jahrhundert wurde da eine Füllhorn ausgeschüttet: Stimulanzien, wie Amphetamine, Anabolika oder gentechnologisch hergestellte Arzneistoffe wie das Blutdopingmittel EPO, Wachstumshormon oder Insulin, um nur einige Substanzen zu nennen. Derzeit sind wir in einer Übergangsphase.
Das heißt?
Sörgel: Die Stoffe des 20. Jahrhunderts können nachgewiesen werden, finden aber noch reichlich Verwendung. Sie sind leicht erhältlich und oft sehr billig. Für die meisten Athleten gibt es nichts besseres, weil sie keine Lance Armstrongs, Jan Ullrichs, Ben Johnsons oder Marion Jones' sind. Aber die Doperszene hat begriffen, dass man neue Stoffe braucht, die völlig neue Wirkstoffe ermöglicht, die ganz schwer nachzuweisen sind. Zudem gibt es jetzt viele kleinere Firmen, die diese Stoffe herstellen können, was bis vor zehn oder 15 Jahren nur großen Pharmafirmen möglich war. In 20 Jahren werden zwar die jetzigen Renner noch Verwendung finden, aber in hoch komplizierten Mixturen mit schwierigem Nachweis, weil chemisch verändert oder anderweitig versteckt.
Und wie steht es mit Doping bei den Winterspielen in Sotschi?
Sörgel: Bei Winterspielen gibt es einen hohen Anteil von Ausdauerdisziplinen. Damit ist ein enormes Potenzial für die klassischen Dopingmittel da. Auch bei bisher eher unverdächtigen Wintersportarten wie Eishockey zeigen Tests, dass man von einem hohen Potenzial für Nikotindoping ausgehen kann. In einem so schnellen Spiel mit hohem Aggressionspotenzial, wo man Spieler wegen der Belastungen in kurzen Abständen auswechseln muss, liegt es auf der Hand, an Nikotin zu denken. Es verbessert die Kombinationsfähigkeit und Reaktionsschnelligkeit. Auch bei Showsportarten, die bei Winterspielen eingeführt werden, können Drogen eine Rolle spielen.
Gibt es Neuigkeiten zum Thema Hase-Igel-Rennen zwischen Dopern und den Laboren?
Sörgel: In Deutschland blieb die Bemerkung des Chefs der amerikanischen Anti-Doping-Agentur USADA unbeachtet: Er sprach im Fall des US-Baseballspielers Alex Rodriguez von der ausgeklügelsten Dopingverabreichung in der Geschichte. Wer es sich leisten kann, einen schwer nachweisbaren Dopingmix zu ordern, der läuft seinen Konkurrenten davon. Je mehr Showsport-Disziplinen mit hohen Gewinnsummen bei der Winterspielen dazu kommen, desto wahrscheinlicher wird der Einsatz des Rodriguez'schen Dopingschemas. Rodriguez wurde nie positiv auf Dopingmittel getestet.
Und wie dopt man perfekt?
Sörgel: Reiche Sportler wie Rodriguez lassen spezielle Mixturen herstellen, in dem so alles drin ist, was Dopingpotenzial hat und in der Kombination fantastisch wirkt und noch den Vorteil hat, dass die Einzelstoffe in Mixturen schwerer nachweisbar sind, weil ihre Konzentration niedrig ist. Die Mikrodosierung mit EPO war der Einstieg bei den modernen Substanzen.
Wer entwickelt solche Verfahren?
Sörgel: Das ist für uns Pharmakologen und Dopinganalytiker der größte Frustrationsfaktor: Es sind Autodidakten wie der Manager des früheren österreichischen Radprofis Bernhard Kohl, Stefan Matschiner. Und Rodriguez zahlte einem zum Guru aufgestiegenen Menschen namens Anthony Bosch 12 000 Dollar pro Monat für dessen Dienste. Bosch ließ Rodriguez Blut in alle Richtungen testen und kombinierte die ganze Hausapotheke der hochwirksamen Dopingmittel so geschickt und ohne, dass ein Dopingtest positiv war. Zu glauben, die Bosch'sche Rezeptur wäre nicht an viele Interessenten verkauft, wäre naiv. Dass die Bosch'sche Rezeptur in Sotschi Anwendung findet ist nicht ausgeschlossen, bleibt aber spekulativ.
Seit vielen Jahren wird über Gendoping geredet. Gibt es das überhaupt?
Sörgel: Man muss zwischen Gendoping und Gentherapie unterscheiden. Gendoping ist ein Begriff, der breit angelegt ist. Viele seit langem bekannte Arzneimittel und Dopingstoffe wirken über die Veränderungen der Genregulation, das ist nichts Spektakuläres. Die Arzneistoffe werden deshalb nicht als Dopingmittel bezeichnet. Dann wären Arzneimittel für alle möglichen Organe Dopingstoffe. Wenn man aber über das Bild vom manipulierten Übermenschen - dem Homunculus - spricht, dann meint man eigentlich die Gentherapie. Nämlich, dass man Gene austauscht oder neue Gene in den Körper einbringt. Wenn ein Wissenschaftler dies schaffen würde, wäre er in erster Linie daran interessiert, den Nobelpreis zu bekommen und nicht einen Olympiasieger zu schaffen und anonym im Hintergrund zu bleiben - mag man ihm auch Millionen bieten. Gentherapie ist Zukunftsmusik.
Bei den Winterspielen in Sotschi gibt es eine Rekordzahl an Doping-Kontrollen. Bringt das was?
Sörgel: Zahlen überzeugen Menschen nun mal. Beim Bankkonto oder bei den Pferdestärken der Autos. Wenn man sagt, es sind über 2000 Kontrollen, klingt das besser als 1800. Dass mehr Tests die Chance auf eine höhere Zahl von Dopingvergehen aufdeckt ist rein statistisch-mathematisch zwar richtig, in der Praxis aber nie bewiesen worden. Im Gegenteil: Die Zahl des Dopings überführten Sportler steigt nicht signifikant. In Deutschland ist er schon lange mehr oder weniger konstant.
ZUR PERSON: Fritz Sörgel ist Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Heroldsberg bei Nürnberg. Seit vielen Jahren setzt er sich mit dem Doping-Problem auseinander.