Geburtstag „Alles schläft, Otto wacht“
Düsseldorf · Ohne Otto Schneitberger wäre die DEG niemals einer der aufregendsten Eishockey-Klubs Deutschlands geworden. Am Sonntag wird der meistbesungene Spieler der Vereinsgeschichte 80 Jahre alt.
Man sollte nicht den Fehler machen, Uli Hiemer als den besten Verteidiger der DEG-Geschichte zu bezeichnen. Zumindest nicht, wenn Uli Hiemer in der Nähe ist. Er war Deutschlands erster Eishockeyspieler, der sich dauerhaft in Nordamerika durchsetzte, spielte ein Dutzend großer Turniere mit der Nationalmannschaft und war sechsmal Deutscher Meister. Doch wer Hiemer daran erinnert, hört genau drei Worte: „Otto, keine Diskussion.“
Eben jener Otto heißt mit Nachnamen Schneitberger und weiß natürlich um die Zuneigung seines Nachfolgers als Abwehrchef an der Brehmstraße: „Der Uli hat mir in einer Bierlaune mal erzählt, dass ich ein Vorbild für ihn war. Warum, weiß ich auch nicht“, sagt Schneitberger lachend. Was nicht als Koketterie missverstanden werden sollte. Er weiß sehr wohl um seine Verdienste: „Wir haben die DEG aufgebaut. Als wir Bayern hochgekommen sind, war das neu für Düsseldorf“, sagt er und übertreibt keineswegs. Ohne die Talente, die in den 60ern und 70ern an den Rhein wechselten, wäre die DEG nicht einer der aufregendsten Klubs der deutschen Eishockey-Geschichte geworden. Erst recht nicht ohne Schneitberger. Der Mann, der die DEG zu ihren ersten Meisterschaften führte, was Düsseldorf zur Eishockeystadt werden ließ. Damals, hat er mal gesagt, „musste schon einer sterben“, damit eine Dauerkarte frei wird.
Am Sonntag wird er 80 Jahre alt. Deshalb muss er Freunden und Journalisten dieser Tage wieder all die Geschichten erzählen. Auch die, wie der Tölzer Buam überhaupt zur DEG kam. 1963, Sommerpause, Schneitberger und Mitspieler Sepp Reif spielten Tennis. Da tauchte dieser Mann auf, DEG-Macher Hans Ramroth, den sie „für einen Tölzer Kurgast hielten“, wie Schneitberger erzählt. „Als er uns ein Angebot machte, dachten wir nur: ,Was für ein Spinner.’ Aber dann sind der Sepp und ich trotzdem hin.“
Nicht nur elegant, sondern
auch hart und emotional
Hin, das war Düsseldorf. Eine neue Welt für zwei Kriegskinder aus der Provinz. Aber sie lernten die aufstrebende Großstadt schätzen. Die Tölzer schäumten und drohten, die „Verräter“ vom Verband sperren zu lassen. Die gingen trotzdem, die 18 Monate Zwangspause kamen ihnen sogar gelegen, sie bildeten sich beruflich weiter, Reif wurde Ingenieur, Schneitberger Architekt.
In Tölz konnten sie sich nicht mehr sehen lassen. Als sie erstmals mit der DEG in der alten Heimat spielten, sei er auf offener Straße beleidigt worden, erzählte Schneitberger einst. „Mein Auto wurde zerkratzt und meine Autoreifen aufgeschlitzt.“ Auf dem Eis war es ähnlich: „Die Tölzer sind auf uns losgegangen, und wir haben uns nichts gefallen lassen.“
Heute ist das natürlich anders. Jeden Sommer fährt er für ein paar Wochen runter, trifft Freunde und Verwandte. Aber seinen Lebensmittelpunkt hat er in Düsseldorf. „Ich wollte vier Jahre bleiben, daraus sind mehr als 50 geworden“, sagt er.
Man hört ihm das Bayerische noch an. An seinem Kultstatus unter den DEG-Fans hat das nie etwas geändert. „Den Fans hat meine Einstellung zum Spiel gefallen“, sagt Schneitberger, der nicht nur elegant und offensivstark war, sondern auch knallhart und emotional. Einen Unparteiischen nannte er einst den „dümmsten Schiedsrichter Deutschlands“. Als der ihn daraufhin für zehn Minuten auf die Strafbank schickte, korrigierte sich Schneitberger: „Der dümmste der Welt.“
Viel wichtiger: Er wurde mit der DEG drei Mal Meister, persönlich acht Mal in Folge punktbester Verteidiger der Liga. Hinzu kommen mehr als 100 Länderspiele, vier Olympische Spiele, acht Weltmeisterschaften. Bei der WM 1970 wurde er von der Fachpresse ins „Weltteam der besten Spieler des Turniers“ gewählt. Da bekamen er und der tschechoslowakische DEG-Star Petr Hejma Angebote aus Nordamerika. Aber sie lehnten ab: „Wir waren berufstätig, das war uns wichtiger, weil wir weitergedacht haben. Wir sind nicht reich geworden mit Eishockey, das war eine schöne Sache, aber ein Nebenberuf.“
Bis heute arbeitet
Schneitberger als Architekt
Bei der DEG liebten sie ihn dennoch bedingungslos. Über keinen anderen gab es an der Brehmstraße so viele Lieder. Lag die DEG zurück, sangen die Fans: „Otto, hau den Puck ins Tor, hallelujah.“ Spielte sie schlecht, hieß es: „Alles schläft. Otto wacht.“ Als ein Puck seine Nase brach und er trotzdem im nächsten Spiel auflief, sang die Halle: „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unser Otto nicht“. Das schafften selbst die übelsten Verletzungen nicht: Schulter, Rippen, Finger — alles wurde in Mitleidenschaft gezogen. Schon in Tölz konnte er nach einem Stockfoul am Auge nichts mehr sehen. Fünf Tage lang lag er mit einem Verband um die Augen im Krankenhaus, fünf Tage voller Ungewissheit. Als die Ärzte den Verband abnahmen, konnte er wieder sehen. Sofort ging es zurück aufs Eis.
Bis heute kommt er gern zu DEG-Spielen in den Dome, „aber manchmal setze ich mich mit einem Gläschen Wein aufs Sofa und gucke das Spiel im Fernsehen“. Dass Eishockey dort unterrepräsentiert ist, ärgert ihn: „In der Sportschau zeigen sie ja nicht mal die Tabelle, da läuft eher Drittliga-Fußball.“ Dabei habe sich das Eishockey enorm entwickelt, schneller, athletischer, aufregender.
Ebenso begeistert ist er von der Architektur. Bis heute arbeitet er als „als freischaffender Künstler“, wie er lachend sagt. „Ich habe viel zu tun, ich könnte arbeiten, bis ich umfalle.“ Aber das will er nicht, nächstes Jahr soll Schluss sein. Dann hat er wieder mehr Zeit, um ins Eisstadion zu gehen.
Was er dort nicht sieht, ist ein Banner mit seiner Rückennummer unter dem Hallendach, die größte Ehre, die einem Eishockeyspieler bei einem Verein zuteil werden kann. Er sei deswegen „nicht beleidigt“, sagt er. Vier Nummern hat die DEG gesperrt: 10 (Chris Valentine), 12 (Peter-John Lee), 13 (Walter Köberle), 23 (Daniel Kreutzer). Die Nummer 2 von Schneitberger ist nicht dabei. Es wird Zeit.