Ehemaliger NFL-Profi Sebastian Vollmer „Die Angst vor möglichen Spätfolgen ist präsent“
Münster · Der Kaarster Sebastian Vollmer war jahrelang ein begehrter und erfolgreicher NFL-Profi. Jetzt hat er ein Buch geschrieben. Ein Gespräch über eine verrückte Karriere, ein Vorwort von Tom Brady und künftige Gewichtsabnahme.
„This is Sebastian.“ Die Stimme am Telefon klingt sanft, herzlich. Hat gefühlt nichts mit einem 2,03 Meter großen Raubein der NFL gemein, der jahrelang als Offensive Tackle die „Drecksarbeit“ für Superstar Tom Brady bei den New England Patriots erledigte.
Im Hintergrund kreischen Kinder. Annabel und Lucas. Sie sind der wundervolle Teil des neuen Lebens von Sebastian Vollmer, dem ersten und einzigen Super-Bowl-Gewinner aus Deutschland. Nach dem jähen Ende seiner Vorzeige-Karriere 2017 genießt der Sympathieträger mit dem prächtigen Holzfäller-Bart seine neue Rolle als Familienmensch, fühlt sich im Nordosten der USA in der Nähe von Boston sauwohl.
Und so ganz nebenbei ist der 34-Jährige unter die Buchautoren gegangen. Seine Biografie „German Champion“ – Die Geschichte meiner NFL-Karriere“ ist taufrisch auf dem Markt. Redaktionsmitglied André Fischer wählte einfach mal seine Nummer.
Herr Vollmer, wann haben Sie den letzten Kaffee mit Tom Brady getrunken?
Sebastian Vollmer: Den letzten Kaffee? Uh! Ich habe mit ihm telefoniert. Doch, vor zwei Wochen haben wir uns gesehen. Privat. Öffentlich ist das kaum möglich. Man kann sich vorstellen, wenn Tom Brady und Gisele Bündchen irgendwo bei Starbucks sitzen, dann dauert es nicht lange, bis der Mob auftaucht und es anstrengend wird.
Brady hat in Ihrer Biografie das Vorwort verfasst. Er adelt Sie, schreibt, er werde sein Leben lang für seinen großartigen Freund da sein. Was lösen derlei Worte in Ihnen aus?
Vollmer: Für mich ist Tom ein normaler Typ, ein Freund. Aber klar, es ist auch stolz dabei. Als ich ihn fragte, ob er das Vorwort schreiben mag, hat er sofort zugesagt. Er macht alles mit. Ganz gleich ob du ihn für eine Wohltätigkeitsveranstaltung brauchst oder für eine Unterschrift auf einem Jersey. So wie gute Menschen halt sind. Er ist total unkompliziert.
Sie haben dem Superstar jahrelang als „Bodyguard“ den Rücken freigehalten, alles weggeblockt, was ihm zu nahekam. Wenn das nicht verbindet, was dann?
Vollmer: Auf jeden Fall. Aber in erster Linie will ich als Sportler meine Aufgabe so gut wie möglich erledigen, egal ob Tom Brady oder Brian Hoyer als Quarterback agieren. Wenn eine gute menschliche Beziehung dahinter steht, ist es tatsächlich ein zusätzlicher Ansporn, ohne Frage. Wenn etwas schief geht, dann tut es einem schon leid, wenn der Mann dahinter umgehauen wird und mit schmerzerfülltem Gesicht am Boden liegt.
Der gemeinsame sportliche Weg mit Brady endete 2017, als ihr Vertrag bei den Patriots im Meisterjahr nach diversen Verletzungen nicht verlängert wurde. Das Ende einer traumhaften Laufbahn?
Vollmer: Ja, es tut weh, wenn du verletzungsbedingt deine Karriere beenden musst. „Bitter sweet“ würden die Amerikaner sagen. Ich war Teil von drei Super Bowls. Alle waren sehr, sehr prägend. Da ist massenhaft Enttäuschung und Wehmut im Spiel. Aber die Entscheidung habe ich nach mehreren Schulter-Operationen selbst getroffen.
Sie haben sich in all den Jahren immer am Limit bewegt, weder sich, noch Ihren Gegenüber geschont. Haben Sie Ihrem Körper zu viel abverlangt?
Vollmer: Für mich gab es quasi nur 100 Prozent. Das beschreibe ich auch in dem Buch, wo das Mentale irgendwann gewinnt über das Physische. Wo man sich einredet, ich mach es trotzdem, ich kann es trotzdem und dann später nach der fünften oder zwölften Operation realisiert, was ist denn hier los? Man lebt für den Moment, will gewinnen, nur das zählt.
Wen oder was haben Sie gesehen, als Sie nach großen Spielen in den Spiegel geblickt haben?
Vollmer: Manchmal einen alten Mann mit vielen blauen Flecken und umgeknickten Fingernägeln. Man fühlt sich erschöpft und glaubt ein paar Autounfälle in ein paar Stunden gehabt zu haben.
US-Studien haben die extreme Anfälligkeit von Footballern für Hirnschäden nachgewiesen. In einem Interview haben Sie mal von der Angst vor möglichen Spätfolgen gesprochen. Ist sie allgegenwärtig?
Vollmer: Das Thema ist präsent, ja. Die Angst auch. Nur kann ich jetzt nichts mehr dagegen tun. Ehrlich gesagt will ich mir die nächsten 50 Jahre nicht jeden Tag Gedanken darüber machen, was wäre wenn … Nur weil ich mal den Schlüssel im Auto vergesse, sage ich nicht gleich „Jetzt passiert es“. Man hofft so ein bisschen auf der guten Seite zu sein.
Sie hatten 145 Kilogramm Kampfgewicht in den besten Zeiten, waren gut in Futter bei etwa 5000 Kalorien täglich. Was haben Sie jetzt auf den Rippen?
Vollmer: Ich habe sehr, sehr viel abgenommen. Jetzt bin ich so bei 115 Kilo schätze ich mal. Ich musste immer hart dafür arbeiten, so schwer zu sein. Wenn du die Erdnussbutter weglässt, auf die Haferflocken haufenweise und die Eiweißpulver samt löffelweise Öl verzichtest, dann geht das schon. Ich achte jetzt total auf meine Ernährung, treibe viel Sport und fühle mich im Reinen. Ich habe ja auch keinen Grund mehr, super stark zu sein.
Kochen Sie selbst? Oder überlassen Sie das Ihrer Frau Lindsay?
Vollmer: Ich selbst bin eher der Outdoor-Mensch, stehe gern am Grill, dafür bin ich immer zu haben. In der Küche teilen wir uns den Job, wer gerade Zeit und Lust hat, wird aktiv. Wichtig ist uns, gesund zu essen. Süßigkeiten und Cola gibt es kaum, wenn überhaupt in Maßen.
Was vermissen Sie in Amerika?
Vollmer: Frisches deutsches Brot, das gibt es nicht an jeder Ecke. Dafür muss man mitunter weit fahren. Dafür haben wir hier reihenweise abgepacktes Toastbrot. Muss man mögen. Wenn ich mal in Deutschland bin, führt mein erster Weg zum Bäcker.
Annabel (2) und Lucas (sechs Monate) bereichern Ihr Leben. Der Familie widmen Sie ein ganzes Kapitel.
Vollmer: Es ist der Wahnsinn. Wir lieben die beiden heiß und innig. Ich bin super gerne Papa, tobe und albere rum. Mit 18 sind sie aus dem Haus und dann sieht man sie Weihnachten wieder. Also genieße ich die Zeit.
Boston ist Ihre zweite Heimat. Ist eine Rückkehr nach Deutschland irgendwann denkbar? In Ihrer Geburtsstadt Düsseldorf ist in der Altstadt immer ein Altbier gezapft für Sie.
Vollmer: Meine Eltern und meine Schwester leben noch in Kaarst. Deutschland liegt mir am Herzen. Wir kommen regelmäßig rüber und mein Wunsch ist es, dort viel öfters den Sommer zu verbringen. Es ist auf keinen Fall ausgeschlossen, dass wir uns dort niederlassen. Und wenn ich mich mal in der Düsseldorfer Altstadt tummle, muss man echt nicht lange warten, bis jemand vorbeikommt mit einem Bierchen. Das kann ich mir jetzt nach meiner Karriere ab und an sogar gönnen.
Die NFL-Saison hat begonnen. Wo landen die Patriots mit Ihrem alten Kumpel Tom Brady?
Vollmer: Ich glaube, dass die Philadelphia Eagles wieder groß auftrumpfen werden. Auch wenn sie sich beim Auftaktsieg gegen die Atlanta Falcons noch schwergetan haben. Den Patriots traue ich ebenso wie den Green Bay Packers zu, eine überragende Rolle zu spielen.