Professor Pilz, gehen Sie eigentlich noch ins Stadion?
Interview mit Fanforscher „Ein buchstäblich fatales Zeichen“
Reutlingen/Hannover · Fremdenhass und Rassismus im Fußball sind längst nicht Vergangenheit – und auch nicht nur ein Problem der Fankurven.Ein Fanforscher erklärt, wie Vereine und Verbände dem begegnen können.
Beim Chemnitzer FC haben sie reagiert und den Kapitän entlassen. Daniel Frahn, ein wichtiger Spieler für den Club, sympathisierte mit den rechtslastigen Fan-Gruppierungen in Chemnitz. In Cottbus und Dresden kämpfen sie gegen Fremdenhass und rassistische Tendenzen im Fußball. Aber das Phänomen ist keines, das auf die neuen Bundesländer beschränkt wäre. Die Tendenzen gibt es auch bei Borussia Dortmund, die Fanarbeit des Clubs gilt überregional als vorbildlich. Und die Äußerungen des Schalker Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies deuten darauf hin, dass das nicht nur ein Problem der Fans ist. Der international renommierte Fanforscher Gunter A. Pilz aus Hannover über neue Tendenzen und Entwicklungen im Fußball, und wie man ihnen begegnen kann.
Gunter A. Pilz: Selbstverständlich. Gibt es einen Grund, das nicht zu tun?
Fußball wird überlagert von anderen Interessen, die mit dem Fußball nichts gemein haben.
Pilz: War das denn nicht immer so, seit es den Profifußball gibt? Sicher, die Kommerzialisierung und Professionalisierung ist weiter fortgeschritten und treibt zum Teil moralisch verwerfliche Blüten, wenn wir an die Transfersummen denken. Aber es hat sich auch eine meinungsstarke Gruppe gebildet, die verhindert, dass diese Exzesse zumindest im deutschen Fußball nicht überhand nehmen und vor allem dafür sorgen, dass der Fußball sich seinen sozialen Wurzeln, seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist und bleibt. Ich denke an die engagierten Fan- und Ultragruppierungen, das Kämpfen um den Erhalt der 50 + 1 Regel, der Stehplätze in den Stadien und gegen die weitere Zerstückelung der Spielpläne.
Und die Folgen?
Pilz: Zumindest haben die Vereine und Verbände die Zeichen der Zeit erkannt, führen den Dialog mit den Fans, in der Bundesliga müssen die Vereine mindestens drei, in der 2. Bundesliga mindestens zwei hauptamtliche Fanbeauftragte haben.
Gut und schön, trotzdem überlagern andere Interessen den Sport.
Pilz: Ich widerspreche. Aufgrund des Arrangement zwischen Fans und den Vereinen und Verbänden hält sich die Verlagerung von anderen Interessen, die mit dem Fußball nichts gemein haben, durchaus in Grenzen. Fußball ist und bleibt ein Massenphänomen. Mich fasziniert Fußball wie am ersten Tag. Ich gehe weiter ins Stadion, ich freue mich, ich rege mich auf. Trotz aller kritischen Stimmen, die sich erheben, ich habe nicht den geringsten Zweifel an der Zukunft des Fußballs. Der Fußball ist und bleibt eine Faszination erster Güte solange wir uns dessen historischer Wurzeln, sozialer Herkunft und gesellschaftlicher Verantwortung bewusst bleiben.
Tolerieren Sie Pyrotechnik im Stadion?
Pilz: Keineswegs. Das ist ein großes Problem für die Vereine. Für mich gibt es da null Toleranz, aber man sollte auch so fair sein, zuzugeben, dass das Problem mit der Pyrotechnik nicht wirklich etwas mit Gewaltphänomenen zu tun hat.
Womit wir beim Thema wären. Es gab Zeiten, da haben wir über die Notwendigkeit von Fan-Projekten gesprochen, um mit den Fans ins Gespräch zu kommen. Es gab damals auch schon rechtsextremistische Tendenzen. Vier Jahrzehnte später hat man den Eindruck, das Problem verschärft sich?
Pilz: Was wir in Cottbus oder Chemnitz erleben, ist Besorgnis erregend. Das hat mit den Vereinen zu tun, aber eben auch mit der konkreten gesellschaftlichen und politischen Situation. Um keinen falschen Eindruck zu erwecken, das gilt nicht nur für Vereine im Osten Deutschlands. Borussia Dortmund ist ein Verein, der hohes Engagement zeigt gegen Rechtsradikalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, deshalb gibt es in der Dortmunder Fanszene aber trotzdem Phänomene, die wir nur aus Ostdeutschland zu kennen glauben. Das hat aber auch mit den Medien zu tun.
Wie das?
Pilz: Weil sich die Dinge im Osten im Fokus der Medien befinden.
Die die konkrete Wirklichkeit abbilden.
Pilz: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass rechte Politik dabei ist, Mehrheiten zu übernehmen. Wir stehen vor richtungsweisenden Landtagswahlen in den neuen Bundesländern. Und so lange die Alternative für Deutschland eine demokratisch akzeptierte Partei ist, wird sich daran kaum etwas ändern. Der traditionell eher konservative Fußball ist und bleibt eine Plattform.
Wie beurteilen Sie die Vorkommnisse auf Schalke um deren Aufsichtsratschef Clemens Tönnies?
Pilz: Ein buchstäblich fatales Zeichen. Es erschüttert mich, wie der sogenannte Ehrenrat des Vereins mit der Causa Clemens Tönnies umgegangenen ist. Das widerspricht allen Idealen, die dieser Club in seiner Arbeit für sich reklamiert, die die Fan-Szene im Übrigen ganz entschieden und zu Recht für sich reklamiert. Das hat man gesehen im DFB-Pokal. Ich kann und darf nach Aussagen, wie sie Clemens Tönnies getätigt hat, nicht zur Tagesordnung übergehen. Alles andere als eine unbedingte Demission des Aufsichtsratsvorsitzenden ist keine angemessene Reaktion.
Nun wird sich der DFB weiter damit beschäftigen.
Pilz: Der Sitzung des Ehrenrates des Deutschen Fußball-Bundes kommt in dieser Hinsicht eine Signalfunktion zu. Sollte sich der Ehrenrat des Verbandes am Ende der jetzt vertagten Verhandlungen äußern wie der des Vereins, können wir uns die Implementierung der Menschenrechts-Charta in die Satzung des DFB beim Bundestag im September sparen.
Tut der DFB genug gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus?
Pilz: Ich empfinde den DFB in dieser Hinsicht als fortschrittlich. Hinsichtlich des Fair Play, in der Wertediskussion, in der Wahrung der Menschenrechte, in der Extremismus- und Gewaltprävention ist der Verband fortschrittlich. Es ist aber natürlich immer noch die Frage, wie viel von den Beschlüssen des Dachverbandes am Ende an der Basis ankommt. Da gibt es zwar gute und ermutigende Signale, aber es gibt auch noch erheblichen Verbesserungsbedarf.
Wir haben das richtig verstanden, Sie halten den DFB in dieser Hinsicht für fortschrittlich?
Pilz: Ja.
Und wie wollen Sie realisieren, dass diese Bemühungen Praxis an der Basis werden?
Pilz: Wir werden unser Augenmerk weniger auf neue Projekte legen, sondern verstärkt darum bemühen müssen, Maßnahmen zu ergreifen, der Basis zu helfen, die vielen guten Handlungsempfehlungen, Maßnahmenkataloge in der täglichen Vereinsarbeit umzusetzen. Das kann der Fußball nicht alleine schaffen, da bedarf es vereinsübergreifender Netzwerke unter Einschluss zivilgesellschaftlicher Initiativen, Institutionen der kommunalen Jugendhilfe. Es wird auch darum gehen konkrete Anlaufstellen vor Ort einzurichten.
Erinnert ein wenig an die Arbeit der Fan-Projekte in den 80er Jahren.
Pilz: Der Eindruck ist nicht falsch. Nicht von ungefähr arbeiten in Deutschland mittlerweile 63 Fan-Projekte. Und sie arbeiten gut. Wenn wir Ähnliches ist der Extremismus- und Gewaltprävention hinkriegen, sind große Schritte realisiert.
Aber das ist nicht Aufgabe des Fußballs allein?
Pilz. Nein. Ich habe schon in den 80er Jahren, als die ersten Fan-Projekte eingerichtet wurden, darauf hingewiesen, dass Fan-Projekte zum Aufgabengebiet der kommunalen Jugendarbeit gehören. Wo steht geschrieben, dass die Arbeit seines Streetworkers vor den Toren des Stadions enden muss. (GEA)