Bayern-Erlösung und BVB-Hunger als WM-Trumpf für DFB-Elf

Miami (dpa) - Ja, trotz aller Neutralität hat es tatsächlich auch Jubel gegeben bei der Nationalmannschaft mehr als 7000 Kilometer vom großen Triumph des FC Bayern entfernt.

Und die Botschaft aus dem Wembley-Stadion hat TV-Konsument Joachim Löw in Miami deutlich vernommen: Jetzt ist gemeinsam mit den unterlegenen, aber hungrigen Dortmundern der WM-Titel drin. „Die Qualität ist hoch“, erklärte der Bundestrainer nach der spannenden und beeindruckenden Final-Show von London: „Diese Konstellation gibt unseren Spielern enormes Selbstbewusstsein bei den Aufgaben mit der Nationalmannschaft.“

Die Erlösung bei den Generationen Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger sowie Manuel Neuer und Thomas Müller über den gelungenen Coup im dritten Anlauf könnte eine Blockade zerschlagen. Der Ehrgeiz bei Mats Hummels und seinen BVB-Kollegen ist nun noch größer: In Brasilien 2014 soll endlich das Nationalteam wieder ganz oben stehen. „Natürlich merkt man: Der deutsche Fußball ist auf dem Vormarsch und hat Europa bestimmt“, sagte Teammanager Oliver Bierhoff nach dem gemeinsamen TV-Nachmittag des DFB-Teams in Florida und gab den WM-Titel als Ziel aus: „Natürlich muss es unser Ziel sein, Weltmeister zu werden, dafür werden wir alles tun“, ergänzte der Europameister von 1996 im Interview der „Welt am Sonntag“.

„Das war Werbung. Schön zu sehen, welche Weltklassespieler wir in Deutschland haben“, kommentierte Löw-Assistent Hansi Flick das „German Final“, das selbst in dem wenig fußball-interessierten Land USA über die TV-Bildschirme flimmerte und bestaunt wurde. „Was für ein Kampf, was für eine Klasse! Europa hat ein ganz großes Endspiel erlebt. Mit Anpfiff standen elf Nationalspieler auf dem Platz“, erklärte Bierhoff euphorisch und stolz zugleich.

Die Vorbereitung auf die eher nebensächlichen Testländerspiele am Mittwoch gegen Ecuador und vier Tage später gegen Gastgeber USA hatte das Löw-Team im heißen Miami extra unterbrochen. Im Hotel-Ballroom „Astor“ verfolgten Lukas Podolski und Co. auf einer riesigen Leinwand die 90 hochklassigen Minuten zwischen den nationalen Branchenführern Bayern und Dortmund, die auch bei der Weltmeisterschaft im kommenden Jahr die größten und wichtigsten Fraktionen im DFB-Team stellen werden. „Es war wahnsinnig angespannt, es war mucksmäuschenstill die meiste Zeit“, berichtete Löw vom kollektiven Final-Konsum.

Das tolle Endspiel mit einem euphorisierten Kommentator im US-Sender VOX und Lobeshymnen sowohl über den Sieger als auch den unglücklichen Verlierern haben den TV-Zuschauern im Keller des St. Regis Hotels von Bal Harbour klar vor Augen geführt, dass Deutschland nun noch mehr als Favorit auf den WM-Titel in Brasilien gesehen wird. „Der Druck wird da sein. Aber wir wollen ihn nicht noch selbst erhöhen“, sagte Bierhoff, der 1996 - ebenfalls in London - mit seinem „Golden Goal“ im EM-Endspiel gegen Tschechien selbst für den letzten Titel zuständig gezeichnet hatte. Auch Löw wollte keinen Automatismus aus dem tollen deutschen Finale in der Königsklasse ableiten: „Der Druck bei uns ist immer groß, bei jedem Turnier.“

„Ich kann nachvollziehen, was in den Dortmunder Spielern jetzt so vorgeht, wenn man kurz vor Schluss so ein Spiel verliert“, tröstete Löw seine BVB-Kicker. Größere Nachwirkungen erwartet er nicht: „Sie sind noch jung und können in ihrer Karriere noch einiges erreichen.“ Dafür könnte der Titel bei Schweinsteiger und Co. als „Erlösung“ wirken, hofft der Bundestrainer: „Irgendwie waren die Bayern jetzt auch mal dran. Wer dreimal innerhalb von vier Jahren in einem Champions-League-Finale steht, der hat den Titel auch verdient.“

Dass das Interesse nun sofort von London zu den Länderspielen am Mittwoch (20.30 Uhr MESZ/ARD) gegen Ecuador und am 2. Juni gegen die USA umschlägt, erwartet Löw nicht. „Ich denke, dass niemand in Deutschland diese Spiele vergleicht. Alles war fokussiert auf das Champions-League-Finale. Das war für den gesamten deutschen Fußball und alle deutschen Fans eine Riesensache“, unterstrich der Chefcoach, der in Boca Raton dem Freiburger Länderspiel-Debütanten Max Kruse eine Chance von Beginn an geben will. „Wir haben jetzt zwei Testspiele, die wollen wir natürlich möglichst gut absolvieren. Aber das eine ist vom anderen absolut zu trennen“, betonte Löw.