Bayern in „Scheinwelt“ - Sammer-Kritik: Verstecken uns
München (dpa) - „Dienst nach Vorschrift, lethargisch, Fußball ohne Emotionen“ - Matthias Sammer schmeckte der siegreiche Bayern-Auftritt kurz vor dem Start der Champions League ganz und gar nicht.
„Wir müssen raus aus einer gewissen Komfortzone und uns gegenseitig mitreißen“, forderte der verstimmte Sportvorstand nach dem 2:0-Erfolg über Hannover 96. Während die Bayern-Stars die Königsklassen-Generalprobe als Pflichtsieg abhakten, startete Sammer einen Auftritt als Mahner. „Wir verstecken uns zur Zeit hinter unserem Trainer“, kritisierte Sammer in den Arena-Katakomben den keineswegs mitreißenden Auftritt des Münchner Millionen-Ensemble.
„Den Hype, für den er ja überhaupt nichts kann, mit ihm jeden Tag Pep hin, Pep her, Pep hoch, Pep runter und finden wir alle so prima, dass wir sagen, ach gut Mensch, da stehen wir alle auch ein bisschen weniger in der Verantwortung“, monierte Sammer. „Wir spielen zum Teil lethargisch, wir spielen ohne Emotionen Fußball, wir machen Dienst nach Vorschrift.“
Neue Saison und neuer Trainer, dazu ein altes Erfolgsrezept. Wie vor knapp einem Jahr beim 2:0 in Bremen („Wir waren nicht richtig hellwach, wir waren nicht richtig gallig. Wir waren zu lätschern“) erhebt Sammer kurz vor dem Auftakt der neuen Champions-League-Spielzeit die Stimme. Das auch noch „zu einem Zeitpunkt in der Saison, wo letztes Jahr Borussia Dortmund alles verschenkt hat“, wie der Sportvorstand erinnerte. Und jetzt? Jetzt zeigt der BVB wie bei der 6:2-Show gegen den HSV im Gegensatz zu den Bayern Fußball mit jeder Menge Leidenschaft.
Unterstützung für Sammer gab es von Bayern-Idol Franz Beckenbauer. Zwar würden sich die Münchner Profis nicht bewusst hängen lassen, aber: „Nach einem Traum-Jahr besteht jedoch die Gefahr, dass man sich innerlich ein bisschen zurücklehnt und glaubt, dass nichts mehr schiefgehen kann“, sagte Beckenbauer der „Bild“-Zeitung. „Ich denke, Matthias handelt nach dem Motto: Wehret den Anfängen! Und das finde ich auch in Ordnung.“
Zwei Stunden durften sich die Münchner nach dem vierten Saisonsieg durch Treffer von Mario Mandzukic (51. Minute) und Franck Ribéry (64.) über die Tabellenführung freuen, ehe die Borussia wieder vorbeizog. Der Erzrivale BVB als Motivationshilfe oder pusht etwa das Auftaktmatch in der Königsklasse am Dienstag gegen ZSKA Moskau? Das kann es nach Ansicht von Sammer nicht sein. „Jeder will, das ist keine Frage des Wollens, aber wir emotionalisieren uns nicht in gewissen Phasen“, betonte er beim TV-Sender Sky. „Ich rede ja nicht über 20 Prozent, ich rede nur über 2, 3 Prozent, die uns fehlen, aber die kommen niemals von außen, die kommen immer von innen.“
Die Profis gingen mit sich selbst nicht so hart ins Gericht. „Man braucht die Siege, um Punkte zu bekommen in der Tabelle, das haben wir geschafft. Das war ein hartes Stück Arbeit, man hat die Länderspielpause schon gemerkt“, befand etwa Thomas Müller. Widersprechen mochte aber auch keiner der Sammer-Kritik. „Da hat er vielleicht recht“, erklärte Arjen Robben in der ARD-Sportschau. Öffentlich gab es von Trainer Pep Guardiola keine Kritik und wieder eine leise Analyse, aber in der Kabine geht es laut den Worten von Sammer anders zu. „Unser Trainer muss jedes Mal eine Brandrede halten, dass wir in die Gänge kommen. So geht das nicht“, kritisierte Sammer den Auftritt im neuen Spiel-Dress in Wiesn-Tracht-Optik.
Auch wenn die Situation als ungeschlagener Tabellenzweiter und frisch gekürter europäischer Supercupsieger alles andere als schlecht ist, „darf man die Realität nicht aus den Augen verlieren“, monierte Sammer. „Fünf Titel in den letzten 14 Monaten, Franck noch Europas Fußballer des Jahres, vielleicht kriegen wir den noch zum Weltfußballer - das ist so eine Scheinwelt finde ich und das gefällt mir nicht.“ Erklärungsansätze wie auf verschiedenen Positionen eingesetzte Spieler seien „alles Alibikäse“.
Die erste Reaktion soll am Dienstag zum Auftakt in die neue Saison der Champions League erfolgen. „Sehr, sehr wichtig“ sei der Start, hob Kapitän Philipp Lahm hervor. „Vor allem, wenn man zu Hause spielt, will man drei Punkte einfahren.“ Dann könnte auch Bastian Schweinsteiger wieder dabei sein, der nach seiner Sprunggelenksverletzung beim Sieg gegen die Niedersachsen noch 90 Minuten auf der Bank hockte. „Er braucht noch ein bisschen und dann denke ich, kommt er mit Volldampf zurück“, prognostizierte Müller.
Noch einmal nach München zurück kommen die Hannoveraner in anderthalb Wochen. Dann wollen sie im Pokal an die gute Vorstellung der ersten Spielhälfte anknüpfen. „Die erste Halbzeit ist die Mannschaft so aufgetreten, wie wir es erhofft haben. Respekt. Das 0:0 war schon mal ein deutliches Ergebnis“, sagte Vereinschef Martin Kind. „Die Mannschaft wird sich entwickeln. Wir fahren nicht unzufrieden aus München zurück.“