Die Angst des Schützen vor dem Elfmeter
Fußball: Nie zuvor scheitern mehr Spieler vom Elfmeterpunkt am Torwart wie zum Auftakt der aktuellen Bundesliga-Rückrunde.
Düsseldorf. Für Sportpsychologen ist der Fall klar. Die psychische Belastung beim Elfmeter liegt nicht beim Torwart sondern beim ausführenden Spieler, „die Angst des Torwarts beim Elfmeter“ darf es, wissenschaftlich betrachtet, nicht geben. Wenn es noch eines weiteren Beweises für die These des Sportpsychologen Professor Norbert Hagemann von der Universität Kassel bedurft hätte. Der Auftakt der Rückrunde bestätigt die Wissenschaft.
Bayern Münchens Philipp Lahm, der Wolfsburger Grafite, Freiburgs Papiss Demba Cissé und Javier Pinola vom 1. FC Nürnberg scheiterten vom Elfmeterpunkt. Die möglichen Ursachen für die Seuche vom Punkt sind unterschiedlich.
Lahm setzte einen von Ashkan Dejagah an Danijel Pranjic verursachten Foulelfmeter nur an den Pfosten, das Verdienst von Wolfsburgs Torwart Diego Benaglio hielt sich dabei in Grenzen. Auf der Gegenseite zeichnete sich später Bayern-Keeper Thomas Kraft aus. In seinem ersten Bundesligaspiel lenkte er den Foulelfmeter des sonst sicheren Grafite an die Latte.
„Der Elfmeterschütze darf sich dem Druck nicht beugen“, sagt Hagemann. „Im Training lässt sich der Umgang mit diesem speziellen Druck aber üben.“
Nach den Untersuchungen von Hagemann sind jedenfalls die Einflussmöglichkeiten des Torwarts auf den Spieler größer als umgekehrt. Großen Einfluss auf die Schussrichtung hat die Position des Torwartes auf der Linie. Die meisten Spieler entscheiden sich nach Hagemanns Untersuchungen für die Ecke, die augenscheinlich vom Torwart weniger gut abgedeckt wird. Großen Einfluss hat ebenfalls, ob lange auf den Pfiffe des Schiedsrichters gewartet werden muss. Je länger der Spieler warten muss, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass er verschießt.
In der laufenden Bundesliga-Saison liegt die Erfolgsquote der Schützen nur bei 64 Prozent, eine so niedrige Quote hat es in den vergangenen zehn Spielzeiten nicht gegeben. Münchens Trainer Louis van Gaal war jedenfalls mit der Leistung von Thomas Kraft überaus zufrieden. Kraft, der in der Winterpause Hans Jörg Butt aus dem Kasten verdrängt hatte, meinte nur lakonisch: „Ich denke, ich habe es ordentlich gemacht.“
Butt merkte bereits im Herbst an, als sich die Misere der Elfmeterschützen abzeichnete: „Das könnte Zufall sein. Man müsste es längerfristig beobachten.“ Strafstoß-Erfolge seien immer auch abhängig von Spielständen. Butt glaubt nicht, dass die Torleute besser vorbereitet sind als früher: „Ich sehe keine Änderung, das war in den letzten Jahren genauso.“ Für den Sportpsychologen ist entscheidend, trotz höchster Belastung das Verhalten des Kontrahenten vorherzusehen.
Die Schützen gegen Mönchengladbach und gegen St. Pauli machten es den Torhütern leicht. Gladbachs starker Keeper Christofer Heimeroth parierte einen schwach getretenen Strafstoß von Pinola und rettete damit der Borussia den 1:0-Auswärtssieg.
Der frühere Kölner Thomas Kessler wurde beim Handelfmeter von Cissé ebenfalls kaum gefordert — am Ende reichte es zu einem 2:2 gegen die Mannschaft von Robin Dutt. Hagemann benutzt noch ein weiteres Argument für die Stärke des Torwarts: „In der konkreten Situation spielt auch die Selbstdarstellung des Tormannes eine große Rolle. Bewegt sich der Torwart betont lässig, kann er den Elfmeterschützen zusätzlich irritieren.“