Hamburger SV: Vom Aussterben bedroht

Das Bundesliga-Gründungsmitglied Hamburger SV trudelt seinem ersten Abstieg entgegen. Es fehlt an Qualität und Kontinuität.

HSV-Trainer Bert van Marwijk hat im September Thorsten Fink abgelöst. Den Abwärtstrend konnte auch er nicht stoppen: Zuletzt gab es fünf Niederlagen in Folge.

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Düsseldorf. Er ist der letzte seiner Art. Der Hamburger SV ist der einzige Verein der seit der Bundesliga-Gründung 1963 im deutschen Fußball-Oberhaus vertreten ist. Deswegen nennt man ihn auch den Bundesliga-Dino. Doch der ist vom Aussterben bedroht.

In der Führung zerstritten, auf dem Platz nicht konkurrenzfähig. Den Hamburgern droht der erste Abstieg der Vereinsgeschichte. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer schon seit Jahren schwelenden Krise. Denn der HSV läuft nicht erst seit dieser Saison seinen eigenen Ansprüchen hinterher. Die Analyse zeigt, wo die größten Baustellen sind.

Bert van Marwijk hatte den HSV Ende September von Thorsten Fink übernommen. Er holte acht Punkte aus den ersten vier Spielen. Doch der Trainerwechsel-Effekt ist längst verpufft. Das 0:3 gegen 1899 Hoffenheim war die fünfte Niederlage in Folge. Dennoch hat der Reflex, den Trainer zu entlassen, beim HSV diesmal ausgesetzt.

Vereinspräsident Carl Jarchow sagt: „Egal was passiert, am Vertrauen in unseren Trainer wird sich nichts ändern.“ Immerhin scheinen die Verantwortlichen aus dem Verschleiß von neun Übungsleitern in den vergangenen vier Jahren gelernt zu haben. Jarchow sagte dem Magazin Kicker: „Mich ärgert daran, dass so immer wieder die hoch bezahlten Spieler aus dem Fokus genommen werden. Ihnen wird ein Alibi geliefert, aber sie stehen in der Pflicht.“

Und van Marwijk selbst? Der 61-Jährige ehemalige holländische Nationaltrainer übt sich in Durchhalteparolen. Vom „Zusammenhalten als Verein“ und vom „Mut zeigen“ ist die Rede. Vor dem Hintergrund, dass der Trainer seiner Mannschaft im Interview mit der „Bild“ in Teilen auch Qualität und Charakter abspricht, wirken die Aufrufe zum Durchstehen dieser Krise irgendwie hilflos.

Vorstand, Trainer und Sportdirektor Oliver Kreuzer sind sich derzeit einig: Die Spieler müssen endlich aufwachen, Leistung zeigen, den so oft in diesen Situationen bemühten Bock umstoßen. Aber kann diese Mannschaft das? Selbst Kapitän Rafael van der Vaart sprach seinem Team nach der jüngsten Niederlage die Tauglichkeit ab: „Wir verstehen das System des Trainers. Am Ende des Tages fehlt die Qualität.“

Die nackten Zahlen bestätigen den Kapitän: Der HSV kassiert im Schnitt pro Bundesliga-Spiel 2,3 Gegentore — der schlechteste Wert der Liga. Keine Qualität im sechstteuersten Kader der Liga mit einem Marktwert von immerhin knapp 100 Millionen Euro (Quelle: Transfermarkt)? Da muss sich auch der Sportdirektor Kreuzer hinterfragen lassen. Auch was die Zusammenstellung des Kaders angeht: 13 Mittelfeldspielern stehen nur vier Stürmer gegenüber von denen die beiden einzigen, die bislang regelmäßig getroffen haben — Maximilian Beister und Pierre-Michel Lasogga — verletzt sind.

Letztgenannter, und das macht den HSV-Fans zumindest ein bisschen Mut, könnte am Samstag gegen Hertha BSC vielleicht schon wieder auflaufen. Genau wie Torhüter René Adler und Linksverteidiger Marcell Jansen. Ein kleines Licht der Hoffnung.

Nach Meinung vieler Experten sind der Vorstand und vor allem der Aufsichtsrat des HSV die Mutter aller Baustellen. Das zwölfköpfige Kontrollgremium der Hanseaten gilt seit Jahren als Jahrmarkt der Eitelkeiten, dessen Protagonisten sich immer wieder auch über die Boulevardmedien profilieren wollen. Das Chaos in der Führungsetage schreckt sportlichen Sachverstand ab, verhindert kontinuierliches Arbeiten. Die favorisierten Matthias Sammer oder Oliver Bierhoff wollten unter diesen Umständen den Job nicht.

So kam der HSV auf Frank Arnesen vom FC Chelsea. Zwei Jahre später kam im Juli 2013 Oliver Kreuzer. Seine Bemühungen den teuren 32-Mann-Kader auszudünnen, schlugen bislang fehl. Ladenhüter wie Slobodan Rajkovic, Gojko Kacar und Robert Tesche belasten den Etat. Dem Präsidenten Carl Jarchow trauen viele nicht zu, den Verein, den etwa 100 Millionen Euro Verbindlichkeiten drücken, in ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Frank Rost, ehemaliger HSV-Torhüter, brachte jetzt gar einen Abstieg als Chance zum Neuanfang ins Spiel. Doch Aufsichtsratsboss Jens Meier erklärte im „Hamburger Abendblatt“: „Ein Abstieg hätte fatale Folgen.“ Nicht nur finanziell. Der Mythos des Liga-“Dinos“ — er wäre Geschichte.