„Lilien“-Turbo: „Schneller, schneller - Marcel Heller“
Darmstadt (dpa) - Auch beim Torjubel war Marcel Heller nicht zu stoppen. Nachdem er den ersten Bundesliga-Treffer der „Lilien“ seit 33 Jahren erzielt hatte, stürmte der Angreifer des SV Darmstadt 98 quer über den Platz.
Keiner seiner Mitspieler konnte ihn einfangen, erst vor der bebenden Haupttribüne kam Heller zum Stehen und winkte seiner Freundin auf den Rängen zu. „Weil sie sich sonst immer ein bisschen ärgert, wenn ich sie nicht zuerst grüße“, begründete Heller, weshalb er nach seinem Traumsolo beim 2:2 gegen Hannover 96 noch einmal den Turbo gezündet hatte. „Darum habe ich heute den direkten Weg zu ihr gesucht, damit ich mir zu Hause keine Vorwürfe anhören muss.“
Ein kluger Mann, dieser Marcel Heller, auch wenn seine Freundin ihm an diesem besonderen Tag wahrscheinlich sogar verziehen hätte, wenn er sich nach seinem Sprint über den halben Platz samt anschließendem Schlenzer ins Gehäuse von Hannovers Nationaltorwart Ron-Robert Zieler einfach erschöpft auf den Rasen geworfen hätte.
Doch Heller rannte einfach weiter und machte damit nach den ausflippenden 98-Fans („Schneller, schneller - Marcel Heller“), seinen Mitspielern und Trainer Dirk Schuster auch noch seine Lebensgefährtin glücklich. „Der Verein besteht nicht nur aus Marcel Heller“, sagte Publikumsliebling Marco „Toni“ Sailer. „Aber heute ganz bestimmt.“
Es passte optimal ins Bild eines aus Darmstädter Sicht fast perfekten Tages, dass es gerade Heller war, der beim Bundesliga-Comeback nach mehr als drei Jahrzehnten das erste Tor erzielte, dem er später noch die neuerliche Führung zum 2:1 folgen ließ.
Denn Heller verkörpert wie so viele andere in dieser Mannschaft die Geschichte des SV Darmstadt 98. Woanders verkannt, gescheitert oder abgeschrieben tummeln sie sich nun im altehrwürdigen Stadion am Böllenfalltor. Dem „Bölle“ sprechen viele die Erstliga-Tauglichkeit ab. Und auch dem Team von Trainer Dirk Schuster traut kaum einer zu, die Klasse zu halten. „Wir wissen, dass wir in jedem Spiel der Underdog sind“, sagte Heller. „Wir haben den kleinsten Etat.“
Heller kam 2013 zu den „Lilien“, als diese so gerade noch den Gang in die Viertklassigkeit abgewendet hatten, weil Hessen-Rivale Offenbacher Kickers keine Lizenz bekam. „Am Anfang habe ich gedacht, wo bin ich denn hier gelandet“ erinnerte sich der 29-Jährige. Doch der heruntergekommene Traditionsclub war genau der richtige Ort, um Hellers Karriere wieder in Schwung zu bringen.
Bei Eintracht Frankfurt hatte er zuvor Bundesliga-Luft geschnuppert. Eine schwere Rückenverletzung verhinderte aber, dass er am Main den Durchbruch schaffte. In seinem bis dato letzten Bundesliga-Spiel stieg Heller 2011 mit der Eintracht in Dortmund aus der ersten Liga ab - kein Wunder, dass er am Samstag besonderes motiviert war.
Mit seinen Tempodribblings stellte er die Gäste, die dank Charlison Benschop und eines Eigentores von Aytac Sulu dennoch einen Punkt mitnahmen, immer wieder vor Probleme. „Das ist ein schönes Attribut, das ich bei der Geburt in die Wiege gelegt bekommen habe“, sagte der Offensivspieler, der deshalb manchmal sogar mit dem walisischen Superstar Gareth Bale verglichen wird. „Die Szenen bin ich von ihm schon gewohnt, aber dass der Ball danach im Netz liegt, das war in der Vergangenheit eher selten“, lobte Schuster mit einem verschmitzten Lächeln.
Für den Darmstädter Trainer war Heller aber nicht wegen dessen beiden Toren der Mann des Tages. Schuster hatte eine ganz andere Szene begeistert. In der ersten Halbzeit war Hannovers Edgar Prib allein auf das Darmstädter Tor zugelaufen, nachdem Jerôme Gondorf den Ball vertändelt hatte. Doch Heller sprintete hinterher und klärte die Situation. „Da hat man gesehen, dass jeder für den anderen bereit ist, einen Fehler auszubügeln“, lobte Schuster. „Das war für mich die Szene des Spieltages, nicht die beiden Tore.“