Lob für Rangnick - DFL: Psychologe keine Pflicht
Hannover (dpa) - Das mutige Bekenntnis von Fußball-Trainer Ralf Rangnick zu seinem Erschöpfungssyndrom soll einen Wandel im Umgang mit psychischen Erkrankungen wie Burnout und Depressionen auslösen.
Wissenschaftler lobten einhellig den Schalke-Coach für dessen Outing und versprechen sich eine Signalwirkung. Der renommierte Psychiater Florian Holsboer, der Ex-Nationalspieler Sebastian Deisler behandelt hatte, forderte als Lehre aus dem Fall Rangnick einen Psychologen für jeden Bundesligaclub. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) betrachtet den Vorstoß auch mit Hinweis auf die freie Arztwahl eher skeptisch.
„Diesen Vorschlag muss man differenziert betrachten. Natürlich ist es richtig, wenn sich Clubs verstärkt um psychologische Betreuung bemühen“, erklärte DFL-Kommunikationsdirektor Christian Pfennig auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa. „Auf der anderen Seite sollte weiterhin auch der Gang zu einem Psychologen, den sich der Betroffene selbst gewählt hat, möglich sein. Man sollte die Sensibilitäten bei den Betroffenen in dieser Hinsicht auch künftig nicht unterschätzen“, ergänzte Pfennig.
Auch der Bund Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL), bei dem Rangnick der Stellvertreter des Vizepräsidenten Felix Magath ist, lehnt einen Pflicht-Psychologen als Voraussetzung für die Lizenzerteilung ab. „Ein Psychologe kann eine sehr wichtige Ergänzung des Trainerteams sein. Nicht jeder Verein und jeder Cheftrainer benötigt aber einen Psychologen“, erklärte BDFL-Präsident Horst Zingraf (Mandelbachtal). Er bezeichnete Rangnicks vorübergehenden Rücktritt als richtigen Schritt: „Auszeiten sind sehr wichtig für Trainer. Sie wirken der starken Dauerbelastung entgegen.“
Holsboer, Direktor des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, hielt dagegen an seiner Forderung fest. „Jeder Bundesligist sollte einen Psychologen haben, so wie er einen Physiotherapeuten hat. Die Vereine müssen offen damit umgehen, sie müssen wissen, dass man sich auf Bundesliga-Level eben auch leicht psychisch verletzen kann“, sagte Holsboer im dpa-Interview. Er sprach Rangnick ein großes Kompliment für dessen Outing aus. „Ich erkläre Ralf Rangnick höchstpersönlich zum Helden“
Für Holsboer wird der Fall Rangnick keine Lawine auslösen, aber das Bewusstsein schärfen. „Psychische Erkrankungen sind kein Problem des Profi-Fußballs, sondern des gesamten Hochleistungssports. Die Bekanntgaben psychischer Erkrankungen nehmen zu, vom Gefühl her nimmt auch die Zahl der Erkrankungen zu, aber belastbare Zahlen gibt es nicht“, argumentierte der Wissenschaftler. Für ihn hat der Profi-Fußball aus dem Fall Robert Enke gelernt.
Ähnlich sieht es Professor Manfred Wegner von der Universität Kiel. „Die große Zahl von Fällen, die derzeit öffentlich werden, scheint ein Umdenken zu bewirken und dokumentiert gleichzeitig die Erkenntnis, offener damit umzugehen“, sagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp). Dass Rangnicks Schritt als mutig bezeichnet und nicht verteufelt wurde, sei allein schon als „sehr positiv“ zu werten.
Die Selbsttötung des Nationaltorhüters Enke von Hannover 96 hatte vor knapp zwei Jahren die Debatte über psychische Erkrankungen im Spitzensport ausgelöst. Die 96-Profis waren zunächst psychologisch betreut worden, hatten aber eine dauerhafte Zusammenarbeit mit einem Psychologen abgelehnt. Vor drei Wochen hatte sich 96-Torwart Markus Miller wegen eines Burnouts in stationäre Behandlung begeben. Aus der Sicht von Wegner wird erst die nahe Zukunft zeigen, ob die Verantwortlichen wirklich etwas gelernt haben. „Nämlich dann, wenn Erkrankte wieder gesund werden und sich zurück melden“, sagte der Kieler Sportpsychologe.