Martin Kinds Überraschung: Wende im 50+1-Streit?
Frankfurt/Main (dpa) - Im jahrelangen Hick-Hack um den Einstieg von Großinvestoren bei Fußball-Bundesligisten deutet sich eine spektakuläre Wende an - und gleichzeitig eine Chance, wie beide Streitparteien ihr Gesicht wahren.
Bei der Anhörung vor dem Liga-Schiedsgericht zauberte der ewige Gegner der umstrittenen 50+1-Regel, Hannover-96-Präsident Martin Kind, in Frankfurt mit einem Kompromissantrag eine faustdicke Überraschung aus dem Hut.
Bis zu einer Entscheidung können zwar noch Wochen oder Monate vergehen - aber plötzlich will der 96-Chef die Statuten nicht mehr um jeden Preis kippen. Die verhindern, dass Investoren die Mehrheit an den als Kapitalgesellschaften organisierten Clubs erlangen. Kind hat im Regelwerk eine Hintertür entdeckt, durch die ein Unternehmen im großen Stil bei Hannover 96 einsteigen könnte - ohne dass die Grundidee der Paragrafen über den Haufen geworfen würde. „Das ist eine überraschende Wende in dem Fall“, sagte der Vorsitzende des ständigen Lizenzliga-Schiedsgerichts, Udo Steiner, nach der Anhörung.
Und gleichzeitig klingt sie denkbar einfach: Bislang ermöglichte Paragraf 8 der Liga-Satzung die Investor-Ausnahmen von Bayer Leverkusen und dem VfL Wolfsburg (VW) - nach Kinds Änderungen soll das künftig auch für andere Vereine und Unternehmen machbar sein. Dazu müsste lediglich ein Datum aus dem Regeltext gestrichen werden.
Stand jetzt können Ausnahmen vom DFL-Vorstand nur dann gewährt werden, wenn der Investor schon „seit mehr als 20 Jahren vor dem 1.1.1999 den Fußballsport des Muttervereins ununterbrochen und erheblich gefördert hat“. Wer also erst in den 80er Jahren mit der Förderung anfing, fällt durch das Raster. Kind will nun den Stichtag 1. Januar 1999 ersatzlos streichen lassen und damit den Weg für den Einstieg eines lange an den Club gebundenen Investors freimachen.
Das letzte Wort hätte trotzdem der Vorstand der Deutschen Fußball Liga: Nur der kann laut Satzung eine Ausnahme genehmigen - daran will Kind offenbar nicht rütteln. Und es scheint, dass sich auch die DFL damit anfreunden könnte. „Wir sind hoffnungsvoll, dass die 50+1-Regel in ihrer Grundstrukturen erhalten bleiben wird“, sagte Präsident Reinhard Rauball nach der Verhandlung. Das wäre mit dem Wegfall des, oft als Willkür bezeichneten, Stichtags gegeben. Eine Entscheidung erwartet Rauball erst in Wochen oder sogar Monaten.
Denn der Fall ist „juristisch hochkomplex“, wie Steiner, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, sagt. Er berührt neben nationalem auch EU-Recht und eine Entscheidung des Schiedsgerichts solle auch auf höheren Ebenen Bestand haben.
Dabei bleibt gerade die Verstrickung mit europäischem Recht Kinds Ass im Ärmel. Für den Fall, dass das Schiedsgericht den Hauptantrag zur Datumstilgung und auch den sicherheitshalber gestellten Hilfsantrag - der nach wie vor die Abschaffung der kompletten 50+1-Regel vorsieht - ablehnt, droht er vor höhere Instanzen zu ziehen. Und auf europäischer Rechtsebene werden der 50+1-Regel wenig Chancen eingeräumt. Im Gegenteil: Dort könnten die Statuten spektakulär gekippt werden, was laut Rauball so weitreichende Konsequenzen für das Profigeschäft hätte wie einst das Bosman-Urteil.