Mit Raute auf dem Herzen - Retter Slomka übernimmt
Hamburg (dpa) - Unter Mirko Slomka weht beim Hamburger SV ein anderer Wind. Gleich in der ersten Trainingseinheit griff der als Retter geholte HSV-Coach mehrmals aktiv in das Geschehen ein.
Anders als Vorgänger Bert van Marwijk unterbrach er häufig die Aktionen, holte die verunsicherten Fußballprofis zusammen, erklärte, korrigierte und gestikulierte. Der Neue war gleich der Chef auf dem Platz. Die erste Einheit dauerte rund 90 Minuten und damit deutlich länger als zuletzt. Ab sofort sollen ohnehin zwei Doppelschichten pro Woche gefahren werden, kündigte der 46-Jährige bei der von einem großen Medienaufgebot begleiteten Vorstellung an.
Seine Rettungsmission hatte der neue Hoffnungsträger am Mittag im roten HSV-Trikot mit kurzen Ärmeln angetreten. „Es ist eine irre spannende Herausforderung, zunächst die zwei Plätze gutzumachen, die man für den Klassenverbleib braucht“, betonte er in der HSV-Arena. Nur 13 Spiele bleiben Slomka, um den Traditionsverein vor dem ersten Absturz aus der Bundesliga und dem absoluten Tiefpunkt der ohnehin schwersten Krise seiner Historie zu bewahren. „Wir alle werden ziehen und zerren, um aus der schwierigen Lage rauszukommen“, versprach Slomka, dessen wortreiche Ausführungen stets ein Lächeln begleitete.
Van Marwijks Nachfolger erhält beim HSV, der laut Slomka in Deutschland eigentlich unter die Top 5 gehöre, einen Vertrag bis 2016. Dieser gilt auch für die 2. Liga. „Es wäre natürlich blauäugig, wenn man den Blick auf die Tabelle richtet, als Verein nicht daran zu denken. Ich gehe aber vom Klassenverbleib aus“, betonte Slomka, der seinen langjährigen Co-Trainer Nestor El Maestro mitbringt.
Mit der Verpflichtung des dritten Trainers in dieser Saison hat der nach sieben Punktspiel-Pleiten in Serie auf Rang 17 abgestürzte HSV seinen letzten Trumpf im sportlichen Überlebenskampf gezogen. Der den ohnehin klammen Club teuer zu stehen kommt. Das Gesamtpaket mit Abfindungen für die beurlaubten Trainer Thorsten Fink (800 000) und van Marwijk (3 Millionen) sowie Slomkas Gehalt (1 Million pro Jahr plus Nichtabstiegsprämie) liegt bei mehr als sieben Millionen Euro. „Wir müssen uns wirtschaftlich an die Decke strecken“, räumte Clubchef Carl-Edgar Jarchow ein. Nachdem der Aufsichtsrat den Deal Montagfrüh einstimmig abgesegnet hatte, traten fünf der elf Räte aus dem zerstrittenen, aber weiter handlungsfähigen Gremium zurück.
Slomka weiß, was ihn erwartet. Am 19. Januar 2010 übernahm er Hannover 96 in ähnlich prekärer Lage. Die damals auch durch den Suizid von Nationaltorhüter Robert Enke geschockten Niedersachsen belegten nach 18 Runden Platz 16. Slomka startete mit sechs Niederlagen, sein neues Team fing sich danach aber und schaffte am letzten Spieltag die Rettung. „Er hat das Team damals mit einem Kraftakt vor dem Abstieg gerettet. Ich traue ihm zu, dass er die nötigen Impulse setzen kann“, sagte HSV-Sportdirektor Oliver Kreuzer.
Dies soll er nun auch beim HSV bewerkstelligen, der mit mageren 16 Zählern sogar auf dem direkten Abstiegsrang 17 und damit so dicht wie nie vor dem erstmaligen Absturz in die 2. Liga steht. Eine Startserie wie damals bei „96“ kann sich Slomka in Hamburg nicht leisten. Bei seinem Debüt am Samstag muss sich sein neues Team ausgerechnet gegen Champions-League-Finalist Borussia Dortmund behaupten. Gut so, sagt Slomka: „Ein fantastischer Gegner, um zu zeigen: Dieser Verein lebt!“
Dann folgen die Wochen der Wahrheit mit Werder Bremen, Eintracht Frankfurt, 1. FC Nürnberg, VfB Stuttgart und SC Freiburg - alles direkte Konkurrenten im Abstiegskampf. Vorerst nicht dabei ist dann Rafael van der Vaart, denn der Niederländer fällt mit einem Bänder- und Kapselriss im rechten Sprunggelenk drei Wochen aus. Zuletzt war aber auch der mitschwächelnde Kapitän seinem Team keine große Hilfe.
Slomka will beim HSV nicht alles auf den Kopf stellen, aber mehr trainieren als van Marwijk. Ansonsten gelte es, „das vorhandene Potenzial“ besser auszuschöpfen: „Manchmal reicht es, an ein paar Stellschrauben zu drehen“, verriet der als Motivator bekannte Coach. „Wir müssen der Mannschaft wieder das Erfolgs-Gen einhauchen.“
Auch wenn er in Hannover am 27. Dezember nach knapp vier Jahren entlassen wurde, ist Slomka mit 135 Punktspielen als Rekordcoach in die 96-Geschichte eingegangen. Mit 1,39 Zählern weist er den zweitbesten Schnitt aller Trainer der 96er auf, die er zweimal in die Europa League führte. Schon als Schalke-Coach hatte er Erfolg. Er wurde mit den Königsblauen Vizemeister (2006/2007) und erreichte damit die Champions League. Davon kann beim HSV, der seit Jahren vom Comeback auf Europas Fußballbühne träumt, derzeit überhaupt keine Rede sein...