Russ leidet und schweigt - Frankfurt übt heftige Kritik
Frankfurt/Main (dpa) - Mit seinen zwei kleinen Kindern an der Hand stand Marco Russ auf dem Rasen und genoss zum vorerst letzten Mal die Ovationen der Fans.
Während für Eintracht Frankfurt nach dem 1:1 gegen den 1. FC Nürnberg im ersten Bundesliga-Relegationsspiel das große Zittern um den Klassenverbleib weitergeht, beginnt für ihren an einem Tumor erkrankten Ersatz-Kapitän der schwerste Kampf seines Lebens. Bereits am Dienstag wird Russ operiert - ob und wann er zurückkehrt, ist offen.
Über die bisher wohl schlimmsten 24 Stunden seiner Karriere wollte Russ nach dem Abpfiff nicht reden. Weder über sein unglückliches Eigentor, noch über die Durchsuchung seiner Wohnung durch die Staatsanwaltschaft und schon gar nicht über seine Tumorerkrankung verlor der 30-Jährige ein Wort. „Wenn man so eine Diagnose erhält, sollte man ihn in Ruhe lassen“, äußerte Frankfurts Trainer Niko Kovac Verständnis. „Ich weiß nicht genau, wie er sich fühlt, aber mit Sicherheit nicht gut.“
Die am Mittwoch bei Russ festgestellte Diagnose hatte auch seine Mannschaftskollegen geschockt. „Ich kenne Marco jetzt zwölf Jahre. Es macht einen schon traurig, dass er jetzt durch eine Scheiß-Zeit gehen muss“, sagte Alexander Meier. Als Geste der Verbundenheit hatte der Kapitän seinem Stellvertreter für die 90 Minuten in der ausverkauften Frankfurter Arena die Binde überlassen. „Das zeigt, was der Alex für ein Mensch ist, und was wir für ein Team haben“, lobte Kovac.
Dass Russ in seiner vorerst letzten Partie für die Eintracht ein Eigentor zum 0:1 unterlief - Mijat Gacinovic (65.) gelang später der Ausgleich - und er wegen seiner zehnten Gelben Karte im Rückspiel am kommenden Montag auch noch zuschauen muss, entbehrt nicht einer gewissen Tragik. „Das ist das Leben, das ist der Fußball. Das hat nichts damit zu tun, dass Marco Russ erkrankt ist und deshalb im Fokus steht“, sagte Kovac.
Auch dem Eintracht-Trainer waren die Vorfälle im Vorfeld des Spiels nahe gegangen. Und so redete er sich mehr und mehr in Rage. „Wie das bei uns im Trainingscamp abgelaufen ist, das war eine Frechheit. Das kann man so nicht machen“, kritisierte er das Vorgehen der Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen gegen Russ. „Ich bin geschockt gewesen.“
Es sei unbenommen die Pflicht der Staatsanwaltschaft, nach der Kenntnisnahme eines möglichen Dopingfalles zu ermitteln. „Nur: Dann bekommt man vom Arzt eine Bestätigung, dass Russ erkrankt ist, und trotzdem kommt immer noch jemand und sagt, ich glaube dem nicht. Und dann wird auch noch erklärt, der Befund des Arztes sei nicht da gewesen. Das ist eine Lüge, das ist nicht die Wahrheit“, ereiferte sich der Eintracht-Trainer.
Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt den medizinischen Befund erhalten. Die Unterlagen der Nationalen Anti-Doping-Agentur NADA seien am späten Donnerstagabend eingegangen, teilte Oberstaatsanwältin Nadja Niesen am Freitag mit. „Die Unterlagen müssen nun geprüft werden“, sagte sie. Zugleich verteidigte Niesen das Vorgehen der Behörde.
Für Empörung bei den Frankfurtern hatte auch einen unbedachte Äußerung von Nürnbergs Torwart Raphael Schäfer über die Erkrankung von Russ gesorgt. „Ich glaube, wenn einer wirklich schwer krank ist, kann er kein Fußball spielen“, erklärte Schäfer nach dem Abpfiff. Noch in der Nacht ruderte er zurück: „Meine Worte waren dumm, dafür kann ich mich nur aufrichtig entschuldigen. Ich habe mich voreilig geäußert, ohne Bescheid zu wissen. So etwas darf mir nicht passieren, das ist absolut nicht in Ordnung.“
Auch Trainer René Weiler, der die Bekanntmachung der Russ-Erkrankung durch die Eintracht am Abend vor dem Spiel zunächst als „Inszenierung“ abgetan hatte, revidierte seine Aussage. „Es ist pietätlos, dass ein Klub und ein erkrankter Spieler fast dazu genötigt werden, die intimsten Dinge preisgeben zu müssen, um nicht als Dopingsünder in Verdacht zu stehen“, sagte der „Club“-Coach. „Es geht mir immer um den Menschen - und Gesundheit ist dabei das Allerwichtigste. Ich wünsche Marco Russ nur das Beste.“