Bundesliga Tuchels echter Neubeginn

Borussia Dortmund hat ein Weltklasse-Trio verloren. Jetzt baut der Trainer mit viel Verve ein neues Team auf. Ein spannendes Projekt.

Thomas Tuchel muss nach wichtigen Abgängen ein neues Team in Dortmund aufbauen.

Foto: Guido Kirchner

Dortmund. Wenn Borussia Dortmund in den Container auf das Trainingsgelände nach Dortmund-Brackel lädt, entfaltet sich der Charme, den diesen Club einst umweht hat. Alles kommt ein bisschen provisorisch daher, welke Salatblätter zieren Brötchen, eng ist es und auch ein bisschen schwül. Wenig erinnert hier an den Weltverein, der Borussia Dortmund innerhalb kurzer Zeit unter dem Trainer Jürgen Klopp geworden ist.

Aber vielleicht ist diese Reise in die Vergangenheit der passende Rahmen für das Provisorium, das sich Mannschaft nennt. Wo BVB draufsteht, ist immer noch BVB drin, aber anders. Leitete Thomas Tuchel in der vergangenen Saison noch einen Umbruch an, der im Jahr eins nach Klopp zum großen Teil in ihm selbst begründet war, hat er jetzt seinen echten und auch selbst diagnostizierten „Neuanfang“: Mats Hummels, Ilkay Gündogan und Henrikh Mkhitaryan sind weg. Ein fast unerreichter Verlust. Ähnlich hat es sich in der Bundesliga vielleicht 2011 in Mönchengladbach verhalten, als Marco Reus, Dante und der damals noch viel versprechende Roman Neustädter den Verein verließen. Drei Vordenker, jetzt auch beim BVB: weg.

Tuchel, der als Mainzer Trainer in jedem Sommer die Wechsel seiner besten Spieler moderiert hat, hatte sich das anders vorgestellt. „Wir haben gedacht, wenn wir nach Dortmund kommen, wird uns das nie passieren“, sagte Tuchel für sein Trainerteam. Aber man müsse anerkennen, „dass wir an Grenzen gestoßen sind, und dass es Clubs gibt, die noch ein Stück über uns stehen und noch einen größeren Reiz ausüben.“ Die Angebote hätten BVB-Grenzen gesprengt. Gereicht hat es nicht.

Als er in diesem grauen Container über seine in die Glitzerwelt des Fußballs entschwundenen Stützen sprechen sollte, schwärmte der Trainer: „Europäisches Topniveau“ attestierte er allen, „sie haben das instabile Gebilde getragen“. Groll hegt er nicht: „Sie machen diese Wechsel, weil sie so sind, wie sie sind. Weil sie die Persönlichkeit haben, immer nach dem Optimum streben und damit eine ganze Mannschaft von innen infizieren.“ Freilich ist das eine Sicht, die irgendwann Tuchel auch für sich selbst beanspruchen könnte. Zweifellos strebt auch der er nach Optimalem, immer, zuletzt hatte er den BVB mit einem völlig neuen Spielstil zum besten Vizemeister aller Bundesliga-Zeiten gemacht. Das wird auch international nicht unbemerkt bleiben, zumal Klopp den Boden in der Premier League gerade bereitet. Zukunftsmusik.

Die Gegenwart: Tuchel hat längst begriffen, dass ihm die Transfereinnahmen von rund 100 Millionen Euro eine hoch attraktive Aufgabe bescheren. Zwar will er, dass der „Verlust anerkannt“ wird, „aber nicht als Grundlage zu jammern“. Sondern: „Wir wollen ein Team entwickeln, dass unsere Fans wieder spüren können, auf das sie Lust haben.“ Dabei lächelt der Trainer, überhaupt ist Tuchel ausgesprochen gut gelaunt. Und wer zum Beispiel den jungen, schnellen und technisch starken Franzosen Ousmane Dembélé (15 Millionen von Stade Rennes) vor einigen Tagen beim 2:0 im Test in Wuppertal stürmen sah, ahnt warum: Dortmund hat viele von Europas hochinteressantesten Talenten versammelt. Marc Bartra kam für acht Millionen Euro vom FC Barcelona und soll Mats Hummels’ Verlust aufwiegen. Der neue Linksverteidiger Raphael Guerreiro (22) wechselte für zwölf Millionen Euro vom FC Lorient in Frankreich und ist just als Stammspieler mit Portugal Europameister geworden. Der türkische Flügelstürmer Emre Mor (18) ist EM-Lichtblick und ein Versprechen, zudem hat Sebastian Rode (kam vom FC Bayern) seine gehobene Liga-Klasse längst nachgewiesen. Und Mikel Merino (19) vom spanischen (´Z)weitligisten Osasuna wird schon mit Busquets vom FC Barcelona verglichen.

Abwarten. Es werden noch mehr kommen. Wahrscheinlich André Schürrle aus Wolfsburg, der unter Tuchel in Mainz noch am besten funktioniert hatte und danach nur noch leidlich agierte. Vielleicht sogar noch Mario Götze, der die Möglichkeiten in der BVB-Offensive fast ad absurdum führte. Niemand sagt etwas dazu beim BVB. „Wir kommentieren solche Gerüchte nicht“, sagt Pressesprecher Sascha Fligge, noch bevor Tuchel Luft holen kann. Tuchel selbst lächelt dann, wieder, er ist gut erholt, braun gebrannt. Kein Zweifel : Da freut sich jemand wie ein kleines Kind, das aus neuen Legosteinen einen Turm bauen darf. Und am Ende soll dieser Turm stehen und nicht zusammenbrechen. Denn daran, sagt Tuchel, ändert sich nichts:. „In jedem Wettbewerb, in dem wir spielen, spielen wir auch, um die Spitze herauszufordern.“