Wiese und Werders junge Wilde besiegen den HSV
Hamburg (dpa) - Tim Wiese kletterte mit dem Megafon auf die Treppen zum Bremer Fanblock und tanzte Pogo mit Pizarro und Co. „Der Kessel hat gebrannt, da war Adrenalin nochmal extra drin“, sagte der Nationaltorhüter nach Werders 3:1 (2:0)-Sieg im umkämpften Nordderby beim HSV.
„Ich bin froh, dass wir das so souverän gewonnen haben“, sagte Wiese. Der stets emotional aufgeladene Werder-Keeper, für die Hamburger Fans das Feindbild schlechthin, war wieder einmal der beste Mann auf dem Platz. Wie das gesamte junge Team von Trainer Thomas Schaaf hatte auch der Keeper in der Bundesliga-Rückrunde bisher nicht überzeugt - doch am Samstag pushte er sich so, dass der HSV an ihm verzweifelte.
Ob Paolo Guerrero, Mladen Petric oder Dennis Aogo sogar mit einem Freistoß aus kürzester Distanz: Wiese stand immer goldrichtig. Nur beim abgefälschten Petric-Freistoß (76.) sprang der 30-Jährige in die falsche Ecke. „Gegen uns spielt Wiese immer stark“, konstatierte der ernüchterte HSV-Vorstandsvorsitzende Carl-Edgar Jarchow.
Der Qualitätsunterschied zu Pendant Jaroslav Drobny war so groß, dass man die Hamburger Bemühungen um eine neue Nummer 1 verstehen kann. Beim Führungstor des wieder erstarkten Marko Marin (9. Minute) und dem Premierentreffer des 18-jährigen Tom Trybull (45.) sah Drobny schlecht aus. Nach dem slapstick-reifen Missverständnis der Innenverteidiger Heiko Westermann und Slobodan Rajkovic traf den Ex-Herthaner allein bei Marko Arnautovics (86.) Schlusspunkt keine Schuld.
In dieser Verfassung kann der HSV seine Träumereien von Europa beenden und muss nächsten Freitag bei Borussia Mönchengladbach aufpassen, nicht unter die Räder zu kommen. „Man hat gesehen, dass unser Anspruch nicht der UEFA-Cup ist, sondern das gesicherte Mittelfeld“, sagte Thorsten Fink, der nur von einem Punkte-Rückschlag sprach, die Leistung jedoch nicht so schlecht sah: „Ich lasse mir von niemandem etwas aufschwatzen, wir haben drei, vier Fehler gemacht, aber die Gesamtleistung stimmte.“ Bremen sei immerhin eine Spitzenmannschaft.
Schaaf war während der 90 Minuten unter Hochspannung und kommentierte jede Schiedsrichterentscheidung lautstark. Dabei wird sein aus Verletzungs- und Finanznot geborener Jugendstil bei Werder immer ansehnlicher. Der Coach hatte die junge Garde um Trybull, Florian Hartherz (beide 18) und Zlatko Junuzovic (24) taktisch so gut eingestellt, dass sie mit temporeichem Passspiel durch die Reihen der Hamburger marschieren konnte.
Werder-Chef Klaus Allofs lobte die Bundesliga-Unerfahrenen nach dem ersten Auswärtssieg 2012: „Das ist toll für die jungen Spieler, sich in so einer heißen Atmosphäre zu behaupten.“ Platz fünf bis sieben habe man fest als Saisonziel im Visier. Mit nun 36 Punkten festigte Werder seine Stellung hinter den vier Enteilten aus Dortmund, Mönchengladbach, München und Gelsenkirchen.
Ein Nachspiel könnte der Becherwurf aus der HSV-Fankurve an die Wade von Marin bei einem Eckball haben. „Das ist eigentlich eine Frechheit. Eigentlich sind die Hamburger Fans nicht so“, sagte der Bremer, „das ist aber ärgerlich für den Fußball und ich hoffe, dass es nicht üblich wird, die Gegner zu verletzen“. Vor der Partie hatten schon zwei festgenommene Anhänger für Aufregung gesorgt. Die Polizei hatte sie bei dem Versuch erwischt, zwei mit Brandbeschleuniger getränkte Fahnen und Transparente in die Arena schmuggeln zu wollen.