Das Wunder von Bern: Tor-Rekord und Doping-Verdacht
Hannover (dpa) - Sätze wie „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen“ haben sich fest in das Fußball-Gedächtnis geprägt. Die berühmte Radio-Reportage von Herbert Zimmermann über das Wunder von Bern ist Kulturgut geworden.
Die WM 1954 in der Schweiz, die neun Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs mit dem ersten und völlig unerwarteten Titelgewinn der deutschen Mannschaft unter Bundestrainer Sepp Herberger endete, hat das ganze Land bewegt. Für einige Historiker gilt sie sogar als Wiedergeburt einer Nation.
Doch der kollektive Jubel über das damalige „Wir sind wieder wer“ ist sechs Jahrzehnte später der kritischen Frage „Wie sind wir es geworden?“ gewichen. Die Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute“ befeuerte im Vorjahr schwelende Doping-Gerüchte um das Herberger-Team. Fest steht, dass mehrere Spieler in der Schweiz gespritzt wurden. Möglicherweise mit dem Aufputschmittel Pervitin, doch bewiesen ist das nicht. „Die Indizien sprechen dafür, dass in ihren Spitzen kein Vitamin C war. Es könnte Pervitin gewesen sein“, erklärte der Studien-Mitautor und freie Journalist Erik Eggers.
Erste Gerüchte tauchten bereits kurz nach dem Endspiel auf, in dem Helmut Rahn mit seinem vierten WM-Tor den 3:2-Sieg über Ungarns Wunderelf besiegelte. Der ungarische Superstar Ferenc Puskas erhob gegen die viel gefeierten Weltmeister schwere Vorwürfe, die durch mehrere Gelbsucht-Erkrankungen bei deutschen Spielern Nahrung erhielten. WM-Ersatzmann Richard Herrmann starb 1962 an der Krankheit. Die Empörung in Deutschland über den ungarischen Major war groß, der DFB erklärte ihn kurzzeitig zur persona non grata.
Die Spieler haben die Anschuldigungen immer zurückgewiesen. „Jeder Spitzensportler nimmt Traubenzucker. Bei uns regulierte der Arzt den Verbrauch. Der besseren Wirkung wegen nahmen einige das Dextrogen nicht als Präparat, sondern ließen es sich spritzen“, schrieb Weltmeister Hans Schäfer 1964 in seinem Buch „Die Schäfer-Ballade“ über die Hepatitis-Welle. „Das Pech aber wollte es, dass einer von uns das Virus zu einer infektiösen Gelbsucht in sich trug.“
TV-Mann Rudi Michel und der Lauterer Horst Eckel führten nicht ausreichend desinfizierte Spritzen als mögliche Ursachen an. „Wir haben Traubenzuckerspritzen bekommen, und da war für jeden Einzelnen ja keine Spritze da“, erklärte Eckel 2004 in der ARD-Sendung „Report“. Er war 1954 mit 22 Jahren der jüngste Spieler im DFB-Team und machte alle sechs WM-Partien mit. 60 Jahre später sind Eckel und Schäfer die einzigen Überlebenden aus der deutschen Endspiel-Elf, wobei sich der Kölner aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat.
Für Schäfer wusste „Zauberer“ Herberger stets ein besseres Mittel als Doping zur Vorbereitung auf große Spiele. „Beste körperliche und seelische Verfassung der Spieler, wie sie uns in der Schweiz zum Erfolg verhalf“, erinnerte der Stürmer an die Lehrgänge im Schwarzwald und in München-Grünwald. Dort schuf der „Chef“ die Grundlage dafür, dass die Männer um Kapitän Fritz Walter zur konditionsstärksten Mannschaft der fünften WM avancierten.
In den 26 Turnier-Spielen fielen insgesamt 140 Treffer. Das ergibt einen bisher unerreichten Schnitt von 5,38 Tore pro Begegnung. Daran hatte Herberger großen Anteil. Der Taktikfuchs ließ beim 3:8 im Vorrundenspiel gegen Ungarn eine B-Elf spielen. Die elf Tore wurden nur vom WM-Rekordspiel Österreich - Schweiz (7:5) übertrumpft.
Nach der deftigen Pleite wurde Herberger als „Lump“ und „Betrüger“ beschimpft, es hagelte Rücktrittsforderungen. 14 Tage später, als beide Teams im Regenfinale erneut aufeinandertrafen, wähnten sich die vier Jahre unbesiegten Ungarn zu früh in Sicherheit. Max Marlock und Rahn holten den schnellen 0:2-Rückstand auf. Und als Rahn aus dem Hinterhalt schoss, entstanden die Fußball-Mythen vom Wunder von Bern, dem Fritz-Walter-Wetter und dem Herberger-Trick.