Autor Rinke: Gomez ist wie Goethe

Berlin (dpa) - Der Schriftsteller Moritz Rinke (44, „Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel“) spielt als Stürmer in der Nationalmannschaft der Autoren. Gerade hat er unter dem Titel „Also sprach Metzelder zu Mertesacker...“ (KiWi) Liebeserklärungen an den Fußball veröffentlicht.

Im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa erzählt Rinke, warum ihn die Sportberichterstattung über Mario Gomez an den Dichter Friedrich Hölderlin erinnert - und warum er von der Scheinheiligkeit der Politik enttäuscht ist.

Wie sehen Sie die EM und das Niveau der Spiele bisher?

Rinke: „Also, es waren bis jetzt noch nicht die ganz großen Spiele, und meist haben ja auch die spielerisch stärksten Mannschaften nicht überzeugen können, weil natürlich ganz Europa von den Defensivleistungen Chelseas gelernt hat. Oft waren es Geduldspiele, gerade für das spanische, aber auch für das deutsche Team.“

Welches Team, welcher Spieler hat Sie am meisten beeindruckt?

Rinke: „Es gab drei große Momente während der EM: Einmal als Blaszczykowski gegen Russland in Warschau mit einem Traumtor das 1:1 erzielte, dann als Mario Gomez die ewigen deutschen Häme-Meister besiegte, in dem er gegen Holland beide Tore schoss. In jedem Grad der Übertreibung beleidigend, dumpf und harmonielos, das schreibt Hölderlin über die Deutschen. Hölderlin fällt mir immer ein, wenn ich deutsche Sportberichte über Gomez lese.“

Haben Sie auch schon eine Lieblingsphrase in den EM-Kommentaren gefunden, zum Beispiel „zum Abschluss kommen“?

Rinke: „Das Wort "statisch", wieder im Zusammenhang mit Gomez. "Er spielt zu statisch", heißt es dann, aber er ist nun mal Strafraumstürmer. Goethe war auch nicht so beweglich wie Schiller oder Kleist, dafür war Goethe aber ganz erfolgreich. Statisch, aber erfolgreich. Goethe und Gomez sind eigentlich klassische Stoßstürmer, und was soll denn ein gelernter Stoßstürmer machen, der jahrelang bedient wird? Gomez hat zu Hause bei den Bayern Ribéry und Müller, Goethe hatte Eckermann und Herzog Karl August von Sachsen. Wie sollen solche klassischen Stoßstürmer sich plötzlich im Mittelfeld selbst die Bälle abholen oder auf die Flügel ausweichen? Das kapieren die Sportreporter nicht.“

Wie schneidet Deutschland ab?

Rinke: „Wenn ich das wüsste! Die sportlich logische Endspielpaarung müsste Spanien gegen Deutschland lauten, aber seit wann ist Fußball logisch?“

Was kann die Autorenmannschaft von der Nationalmannschaft lernen?

Rinke: „Die Frage ist doch eher: Was kann die Nationalmannschaft von der Autorennationalmannschaft lernen? Wir können nämlich beides. Und Europameister sind wir schon längst.“

Was kann so ein Fußballturnier gesamtgesellschaftlich bewegen - oder ist Fußball eben einfach nur Fußball?

Rinke: „Es wäre schön, wenn der Fußball nur Fußball wäre, aber das ist er nie. Im Spiel gegen die Griechen hatte man ja das Gefühl, Frau Merkel spiele schon auf der Doppel-Sechs neben Khedira! Noch nie wurde ein Politiker so oft während eines Spiels eingeblendet. Wo waren eigentlich Badstuber und Hummels? Ich habe nur Merkel gesehen. Und noch etwas: Ich bin enttäuscht von der Scheinheiligkeit der Politik. Von den Mai-Protesten gegen die Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine ist nichts mehr übrig geblieben. Die Proteste waren schon vor der EM von großem Gratismut gezeichnet, weil wir Deutschen ja von Kiew außer fertige Stadien wenig wollen, während wir vor Moskau oder Peking auf die Knie gehen. Über das nichtgegebene Tor für die Ukraine gegen England wird nun mehr gestritten als über die Situation im Land.“

Und was sagen Sie zum Halbfinal-Gegner Italien?

Rinke: „Die Italiener sind momentan schwerer auszurechnen als die Spanier. Vor allem, weil sie gar nicht mehr wie Italiener spielen. So viele herausgearbeitete Chancen wie im Spiel gegen England hatte Italien vielleicht die beiden letzten großen Turniere nicht mal zusammen!“