EM 2016 Deutschland verpasst ein Schützenfest
Mit einem unnötig dürftigen 1:0 über Nordirland erreicht das Team als Gruppensieger das Achtelfinale. Gomez trifft.
Paris. Das Thema des Wochenende war die Chancenarmut der deutschen Nationalmannschaft. Gestern änderte sie die Thematik durchaus eindrucksvoll. Sie besiegte Nordirland mit 1:0 und ließ dabei fast ein Dutzend prächtige Gelegenheiten für weitere Treffer aus. Das wesentliche des Spiels ging jedenfalls glatt wie eine Examensprüfung, deren Aufgaben vorher bekannt waren. Das Team spielt nun als Gruppensieger im Achtelfinale Sonntag, 18 Uhr, in Lille. Der Gegner wird sich bis dahin vermutlich noch finden. Der erkältete Bundestrainer hatte sein Team sachte reformiert. Joshua Kimmich ersetzte den rechten Verteidiger Benedikt Höwedes. Zudem hatte sich Joachim Löw dafür entschieden, den robusten Nordiren einen Spieler mit ähnlicher Wucht entgegenzusetzen. Mario Gomez rückte also ins Sturmzentrum, Mario Götze wurde zum Flügelspieler. Die Nordiren zogen sich wenig überraschend schnell zurück ins eigene Gehege. Vier Leute wachten in hinterster Reihe, davor wurde ein zweiter Riegel mit fünf Verteidigern gebildet, und vorne wartete Connor Washington meistens vergebens, dass sich ein Ball in seine Richtung verirrte. Washington arbeitet vor vier Jahren noch als Briefträger, auch das erklärte ein bisschen die Verhältnisse an diesem fröhlichen Abend im Pariser Prinzenparkstadion.
An Ballbesitz waren die „Boys in green“ jedenfalls nicht sonderlich interessiert. Schnell ergab sich die erste Gelegenheit zur deutschen Führung, es war eine Kombination der Sorgenkinder, Özil legte fein für den durchstartenden Müller auf, der Keeper Michael McGovern bei nicht überwinden konnte (8.). An den meisten Tagen nutzt der Bayern-Spieler solche Gelegenheiten entspannt, aber zum Aufwärtstrend gehörte ja, dass es die erste Turnierchance für den Torjäger war. Als erster Torschütze hätte Mesut Özil auf der Anzeigentafel erscheinen können. Er schlug stattdessen ein kapitales Luftloch im Strafraum (10.). In ein paar Minuten verbuchten die Deutschen mehr Chancen als in den ersten beiden Spielen zusammen.
Thomas Müller wurmt die schlechte EM-Statistik, noch wartet er auf seinen ersten Treffer. Gomez legte auf für ihn, diesmal sauste der Ball knapp vorbei (22.). Die Mitspieler servierten weiter fleißig Vorlagen für den Angreifer. Kimmichs Flanke lenkte er mit einem sehenswerten Flugkopf aufs Tor, doch da wartete wieder der reaktionsschnelle McGovern (27.). Die Deutschen versuchten mit vielen Positionswechseln und hohem Tempo Lücken im gegnerischen Bollwerk zu finden. Ihr Spiel hatte über weite Strecken mehr Schärfe und Autorität als zuletzt. Der überfällige Treffer fiel nach 29 Minuten, wieder war Müller maßgeblich beteiligt, er wurde ein bisschen abgedrängt und legte dann lieber auf für seinen Mittelstürmer: Gomez schob ein zum 1:0 (29.). Es änderte sich: nichts. Die Nordiren, ein Team, das sich überwiegend aus Profis von unteren schottischen und britischen Ligen zusammensetzt, blieben in ihrer Deckung und bekamen die nächste Müller-Chance mit. Der enorm verbesserte Götze lieferte eine feine Vorlage, die der verhinderte Torjäger an die Latte lenkte (35.).
„Die Bühne ist bereit, Paris eine tolle Stadt, das Stadion fantastisch und der Gegner der Weltmeister in einem großen Turnier. Geht es besser?“, hatte Nordirlands Kapitän Steven Davis vor der Partie in seiner Kolumne im Belfast Telegraph gefragt. Im Spiel drängte sich ein anderer Eindruck auf, die Nordiren bekamen ein paar Aufgaben zu viel gestellt. Die Führung blieb schmeichelhaft zur Halbzeit, weil Gomez einen feinfüßigen Pass von Mesut Özil technisch nicht sauber verarbeitete (42.). Weitere Gelegenheiten waren eine Frage von Minuten: Mario Götze vergab gleich nach Wiederbeginn zwei Chancen der obersten Handelskategorie (51./53.). Löw beendete seinen Arbeitstag, ersetzte ihn durch André Schürrle. Und auch Bastian Schweinsteiger bekam weitere 25 Minuten Spielpraxis. Der Kapitän erlebte aus nächster Nähe, wie Gomez an einer Özil-Hereingabe vorbeirutschte (73.). Der Mittelstürmer scheiterte später noch am bärenstarken nordirischen Keeper mit einem Kopfball (82.). So blieb es beim grotesk knappen Ergebnis, das die Nordiren begeistert feierten.