Euromeisterschaft Einzelkritik: Die deutsche Flügelzange überragt

München · Gegen Portugal machen Kimmich und vor allem Gosens für den Unterschied. Toni Kroos überrascht mit einer neuen Fertigkeit

Robin Gosens wurde zum Man of the Match gewählt.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Manuel Neuer: Es bleibt dabei: Was derzeit auf den Kasten des Nationalkeepers kommt, ist meistens drin. Einen Vorwurf kann man ihm aber kaum machen. Das war auch diesmal so, Neuer war bei beiden Gegentoren machtlos. Hatte beim Pfostentreffer von Renato Sanches Glück, dass der Ball vom Innenpfosten zurück ins Feld sprang. Offenbarte seine fußballerische Qualität, als er das frühe Attackieren der Portugiesen ins Leere laufen ließ. Note 3,5

Matthias Ginter: Dem Gladbacher war wie allen drei Innenverteidigern das Bestreben anzumerken, sich immer wieder ins Offensivspiel einzuschalten. Eine Flanke von ihm nach fünf Minuten hätte beinahe für die Führung durch Gosens bedeutet, wenn nicht Gnabry im Abseits gestanden wäre. Defensiv mit 82 Prozent gewonnener Zweikämpfe und damit bester Mann in dieser Disziplin auf dem Platz. Note 2,5

Mats Hummels: War nach seinem Eigentor gegen Frankreich geknickt – seine portugiesischen Abwehrkollegen bewiesen gleich doppelt, dass das auch anderen passieren kann. Ansonsten souverän. Klärte einmal als letzter Mann gegen Cristiano Ronaldo. Sollte aber möglichst jedes Sprintduell vermeiden. Note 3

Antonio Rüdiger: Der Chelsea-Spieler ist der schnellste der drei Innenverteidiger – und musste diese Sprintstärke ein paar Mal beweisen, als die deutsche Mannschaft weit aufgerückt war. Wurde in der hektischen Schlussphase, als die DFB-Defensive wackelte, zum wichtigen Faktor. Wie sehr er ins Aufbauspiel eingebunden war, zeigen seine 79 Ballkontakte Note 2,5

Joshua Kimmich: Man müsste diesen Kimmich klonen können: Einen fürs defensive Mittelfeld, einen für rechts hinten. Vielleicht noch einen für irgendwo anders. Sammelte zwei Assists und bildete zusammen mit Gosens eine Flügelzange, die die portugiesische Hintermannschaft nachhaltig traumatisiert hat. In dieser Form als Rechtsverteidiger unverzichtbar. Note 1,5

Robin Gosens: Schwang sich innerhalb von zwei Turnierspielen zum neuen Liebling im DFB-Dress auf: Wuchtete im Rhythmus einer Nähmaschine eine Brandfackel nach der anderen in den Strafraum, völlig zu Recht als Spieler des Spiels ausgezeichnet. Schade, dass sein artistischer Treffer zum 1:0 nicht zählte. Stillte seinen Offensivhunger aber noch mit einem Tor und zwei Vorlagen. Zeigte sich nach Abpfiff auch verbal direkt und konsequent, indem er bekanntgab, dass ihm nach seinem Tor erneut „einer abgegangen ist“. Es wird das Geheimnis der Portugiesen bleiben, warum sie diesen entfesselt aufspielenden Gosens immer wieder ungedeckt ließen. Note 1

Toni Kroos: Der Real-Spieler geht bei der EM mit einer neuen Körperlichkeit zu Werke: Grätscht, kämpft und will offenbar beweisen, dass er auch abräumen kann. Sprich: Das Metronom kann auch Kettensäge. Weiterhin aber auch in der Offensive eine der zentralen Säulen. Hatte 104 Ballkontakte und damit die meisten aller Spieler auf dem Platz. Note 2

Ilkay Gündogan: Präsentierte sich ballsicher und passsicher. Fiel im Vergleich zu Kroos aber etwas ab, auch weil ihm das Abräumen nicht liegt. Sein Dilemma bei dieser EM: Seine starke Saison bei Manchester City spielte er eine Reihe weiter vorne – dafür plant Löw aber andere ein. Note 3

Thomas Müller: Der wahrscheinlich einzige Nachteil am Ende der Geisterspiele: „Radio Müller“ ist längst nicht mehr so gut zu hören. Seine Mitspieler leitete Müller als spielender Co-Trainer aber sichtlich an: Gab stets das Kommando zum Pressing-Start, verlagerte das Spiel zur richtigen Zeit an den richtigen Ort. War wie immer überall. Sammelte zwar keinen Scorer-Punkt, spielte aber oft den vorletzten Pass. Note 2

Serge Gnabry: Der Münchner hatte im Vorfeld angekündigt, in jedem Spiel ein Tor machen zu wollen. Wollte sichtlich und unbedingt einen Treffer. Kurz vor der Halbzeit hatte er mit einer starken Einzelaktion die größte Chance dazu – es blieb sein einziger Torschuss. Dennoch ein wichtiger Faktor im Angriffsspiel. Note 2,5

Kai Havertz: Wirkt manchmal etwas lethargisch – gegen Portugal zeigte er in Spielminute 1, dass diesmal kein Platz für Lethargie ist indem er Portugals Pepe in die Horizontale beförderte. War bei beiden Eigentoren im Getümmel und traf dann doch noch selbst. Damit ist er der jüngste deutsche EM-Torschütze aller Zeiten. Note 2

Marcel Halstenberg: Kam nach einer Stunde um beim Stand von 4:1 für den angeschlagenen Gosens. Ist im Vergleich zum Italien-Legionär der deutlich defensivere Linksverteidiger (auch nicht schwierig im Vergleich zu Gosens) und sollte hinten dicht machen. Gelang beim zweiten Portugal-Tor nur bedingt, als er Ronaldo laufen ließ.

Emre Can: Ersetzte den ebenfalls angeschlagenen Hummels und nahm dessen Position in der Innenverteidigung ein, was nicht zwingend seine Lieblingsposition ist. Durfte, als Süle für Gündogan kam, dann ins defensive Mittelfeld. Lag ihm sichtlich besser.

Leon Goretzka: Kam für Havertz und deutete mit seiner Physis und Präsenz im Mittelfeld an, wie wichtig er für die Schaltzentrale der DFB-Elf im Laufe des Turniers sein kann. Hatte bei einem Konter eine gute Schussposition, der Ball ging nur knapp über die Latte.

Niklas Süle Ersetzte Gündogan. Kam in einer Drangphase der Portugiesen und konnte nicht richtig für Ruhe sorgen.

Leroy Sané Der Einsätz des Münchners war von seinem ehemaligen Mannschaftskollegen Gündogan gefordert worden. Bundestrainer Löw erfüllte ihm diesen Wunsch – in der 87. Minute.

Bewertet werden nur Spieler, die mindestens 30 Minuten gespielt haben