Porträt Joachim Löw: Der Gelassene

Marseille. Im Auto ist es vorbei mit der Gelassenheit des Bundestrainers. Joachim Löw fährt gerne schnell. Schneller, als es die Polizei erlaubt. Vor zwei Jahren muss er deshalb seinen Führerschein für sechs Monate abgeben.

Joachim Löw während einer Trainingseinheit der Nationalmannschaft am 4. Juli in Evian.

Foto: Arne Dedert

Schon 2006 hatte er seine Fahrerlaubnis für vier Wochen verloren. Wenn Löw in seinem Dienst-Mercedes Herbert Grönemeyer oder Udo Jürgens hört, sind die Geschwindigkeitsbegrenzungen für ihn nicht mehr als nett gemeinte Ratschläge. Im Auto verliert Löw dann auch schon mal seine schwarzwälder Gelassenheit. "Ich kann mich auch wahnsinnig aufregen. Vor allem über Dinge, die für mich Zeitverlust bedeuten: Staus, schlechte Autofahrer", verriet er vor wenigen Jahren der Welt. Der badische Buddha wird dann zum Gasfuß.

Das passt so gar nicht zu dem tiefenentspannten Bundestrainer, als der er sich gerade bei der Europameisterschaft in Frankreich präsentiert. Deutschlands oberster Fußball-Lehrer lächelt dort einfach alle Probleme weg. Saugt die Sorgen einer Fußballnation auf und absorbiert sie. Nach dem mageren 0:0 in der Gruppenphase gegen Polen herrscht Aufruhr bei Fans und Experten. Eine so deprimierende Leistung kann nur schwerlich zu einem Titel führen. Löw lächelt. Wenn er bei den Pressekonferenzen im Basislager der Nationalmannschaft erscheint, wirkt er immer gut gelaunt. Je hektischer die Debatten um ihn herumtoben, desto entspannter ist Löw. Im anschließenden Spiel gegen Nordirland tritt seine Mannschaft mit unnachgiebiger Souveränität auf. Löw hatte es vorher so angekündigt.

"Eine seine größten Stärken ist, dass er generell in kritischen Momenten die Ruhe und Übersicht behält, auch in Stressmomenten locker bleibt und nie verkrampft", beschreibt ihn Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff. Die beiden arbeiten seit 12 Jahren zusammen. Damals übernahm Jürgen Klinsmann als Trainer die Nationalmannschaft. Löw kannte er von seinem Trainer-Lehrgang in Hennef. Er macht ihn zu seinem Co-Trainer. Bierhoff wird Manager. Eine Entscheidung, die nicht jedem gefällt. Der Grätsch-und-Fleiß-Fußball der deutschen Nationalmannschaft soll angeleitet werden von einem kalifornischen Sonnyboy und was soll das eigentlich mit einem Manager und diesem Assistenztrainer, der bislang fast überall gescheitert ist?

Löw befindet sich 2004 im fußballerischen Nichts. Dabei startete seine Karriere verheißungsvoll. Als Spieler wird er zum Rekordtorschützen des SC Freiburg. Seine 83 Treffer in der ersten und zweiten Liga sind bis heute unübertroffen. Als er später in der Schweiz spielt, lernt er Rolf Fringer kennen. Der übernimmt 1995 den VfB Stuttgart als Coach und macht Löw zu seinem Assistenten. Fringer hat keinen Erfolg, muss bald gehen. Löw darf bleiben, erst als Interimslösung, dann als Cheftrainer. Mit dem Mann aus der 2400-Einwohner-Gemeinde Schönau gewinnen die Schwaben den DFB-Pokal und ziehen im Jahr darauf in das Endspiel des Europapokal der Pokalsieger ein. Zu wenig für Alleinherrscher Gerhard Mayer-Vorfelder. Er feuert Löw. Heute spielt der VfB in der zweiten Liga. Nach seiner Entlassung tingelt Löw als Trainer durch die Türkei und Österreich. Als ihn Klinsmanns Anruf erreicht, ist er gerade arbeitslos.

Der deutsche Fußball 2004 ist von beschämender Qualität. Die Nationalmannschaft ist gerade bei der Europameisterschaft in der Vorrunde ausgeschieden. Rudi Völler tritt daraufhin zurück. Sich auf Flanken und Kopfbälle zu verlassen sowie auf das Prädikat "Turniermannschaft" zu verweisen, reicht nicht mehr. Klinsmann schiebt viele Veränderungen an. Löw arbeitet im Hintergrund, ist hauptsächlich zuständig für die Taktik. Der Plan geht auf. Deutschland wird Dritter bei der Heim-WM. Die befürchtete Blamage ist abgewendet und plötzlich steht Löw im Rampenlicht. Klinsmann sieht das Projekt als abgeschlossen an. Löw übernimmt. Wirklich ernst genommen wird er von der Öffentlichkeit nicht.

Es ist die Zeit der Stimmen-Imitatoren. Der badische Sing-Sang des Bundestrainers ist leicht nachzuahmen. Noch fehlt es ihm an Konturen. Er gilt als der nette Herr Löw. Verheiratet mit seiner Jugendliebe Daniela, die er bereits als 17-Jähriger auf der Berufsschule kennenlernt. Löw hat eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann absolviert, hat als Jugendlicher ministriert. Sein Vater war Ofensetzer. Vom kulturellen und sozialen Aufbruch der 70er-Jahre kommen nur die Ausläufer im Schwarzwald an. Heute gilt Löw als weltgewandt, kleidet sich auffällig stilvoll und trinkt abends gerne einen guten Rioja. Der Bundestrainer hat sich nicht verändert, aber entwickelt. Er beendet die Nationalmannschaftskarrieren von Michael Ballack und Torsten Frings. Loyalität beweist er bei Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski, die er trotz fehlender Spielpraxis immer wieder nominiert. Wer Löws Weg mitgeht, ist willkommen. "Der WM-Titel hat ihm nochmal einen Schub gegeben, er setzt noch konsequenter Dinge um, von denen er überzeugt ist", so Bierhoff.

Dazu gehört auch, dass er seinen Marktwert genau kennt. Der 56-Jährige besitzt gut dotierte Werbeverträge. Als die Verhandlungen mit dem DFB 2010 über eine weitere Zusammenarbeit stocken, macht Löw keine Zugeständnisse. Er schaltet seinen Manager Harun Arslan an. Die beiden kennen sich seit Löw nach seiner Stuttgarter Demission zu Fenerbace Istanbul wechselte. Arslan vertritt unter anderem auch noch Mirko Slomka und Tayfun Korkut, der mittlerweile den 1. FC Kaiserslautern trainiert. Seinen Mitarbeitern vertraut Löw bedingungslos.

"Man darf nicht vergessen, dass er seit zehn Jahren Cheftrainer ist, da kennst du alle Eigenheiten deiner Mitarbeiter. Er kann eine Erfolgsgeschichte aufweisen, das gibt ihm Gelassenheit", beschreibt es Thomas Müller.

Wenn sich die Nationalspieler warmmachen, interessiert das Löw wenig. Das übernehmen seine Assistenten. Er spielt dann versonnen mit einem Ball irgendwo auf dem Rasen. Jongliert ihn ein paar Mal und schießt ihn anschließend ins Tor. Seine Technik ist immer noch ausgezeichnet. In seiner Heimat spielt er regelmäßig mit alten Freunden in einer Halle. Von der Witzfigur Löw ist nicht mehr viel übrig. Selbst als er sich im Ukraine-Spiel bemüßigt sah, in der Körpermitte für Ordnung zu sorgen, focht ihn das nicht an. Ein wenig Klamauk in den sozialen Netzwerken, ehe Podolski das Thema beendete: "80 Prozent von Euch und ich auch kraulen sich auch mal an den Eiern." Der flapsige Kommentar zeigt auch, was Bierhoff meint, wenn er sagt, Löw genieße bei allen größten Respekt, weil er respektvoll mit jedem einzelnen umgehe. "Es gibt ein großes Vertrauensverhältnis zwischen ihm und den Spielern, das weiß Jogi auf seine Art sehr gut zu nutzen."

Dieses Vertrauen ist so groß, dass Löw selbstverständlich auch gegen Angriffe von Außen verteidigt wird. Als Mehmet Scholl die Meinung vertritt, Chefscout Urs Siegenthaler habe zu viel Einfluss auf die Entscheidungen des Trainerteams, pariert Müller. Siegenthaler habe in dem vorliegenden Fall die Italiener filetiert. Gleiches gelingt später Löw mit Scholl, dem er vorhält eine naive und fahrlässige Einstellung zu taktischen Neuerungen zu haben. Der Bundestrainer kann auch ziemlich direkt werden. "Wir sind gut versorgt, was die Vorbereitung und Ansprache betrifft", hebt Müller die Motivationskünste Löws hervor.

Wenn die deutsche Nationalmannschaft heute gegen Frankreich im Halbfinale der EM antritt, hat sie Löw zum fünften Mal in Folge in ein Habfinale eines großen Turniers geführt. Das ist noch keinem anderen deutschen Trainer gelungen. Nur Helmut Schön gelang es hierzulande, gleichzeitig Welt- und Europameister zu sein. Löw kann ihm folgen. Weil er nur hektisch wird, wenn er die Dinge nicht selbst im Griff hat. So wie den Straßenverkehr. Oder wenn er sich in ein Flugzeug setzt. Dann betet der Bundestrainer noch einmal kurz vor dem Start.

Der nächste Flug soll das Team nach Paris bringen, wo am Sonntag das Endspiel um die Europameisterschaft ausgetragen wird. Löw würde dann wieder seinen Stammplatz im Flieger einnehmen. Reihe 1, Platz A.