Keine Angst vor Frankreich: Portugal will die Krönung
Marcoussis (dpa) - Selbst das portugiesische Frankreich-Trauma lässt Cristiano Ronaldo kalt. Auf dem Weg zu seinem Sehnsuchtstitel will sich der Superstar im großen EM-Finale auch nicht von der desaströsen Bilanz gegen den Gastgeber bremsen lassen.
Bester Laune startete der EM-Rekordtorschütze mit seinem Team am Freitag im Zentrum der französischen Rugby-Nationalmannschaft die Vorbereitung auf den Showdown, präsentierte lachend beim Training mit hochgekrempelter Hose die muskulösen Oberschenkel. „Wir müssen positiv denken. Ich glaube, dass Portugal Sonntag das erste Mal einen großen Titel gewinnt“, sagte Ronaldo gut zwei Tage vor Anpfiff in einem UEFA-Interview. „Leichter Favorit“ sei zwar der Gastgeber - „aber es ist ein Finale, wo alles möglich ist.“
Ganz Portugal setzt im Endspiel im Stade de France auf seinen Kapitän, um die unheimliche Negativserie gegen Frankreich zu beenden. „Ein portugiesischer Gott“, titelte „A Bola“ mit einem Foto des jubelnden Ronaldo. „Ronaldo wird wieder von der ganzen Welt gefeiert.“
Dreimal platzte Portugals Endspiel-Traum bei einem großen Turnier bereits im Halbfinale gegen Frankreich, auch Ronaldo konnte das 0:1 bei der WM vor zehn Jahren nicht verhindern. „1984, 2000, 2006: Die Niederlagen, die Portugal jetzt vergessen will“, titelte „Record“ und schrieb von „traumatischen Eliminierungen“. In den vergangenen zehn Duellen mit Frankreich gab es für die Selecção nur Pleiten, der bislang letzte Sieg liegt 41 Jahre zurück.
Einen psychologischen Nachteil erwartet Trainer Fernando Santos dadurch jedoch nicht für seine Mannschaft. „Ich bin absolut sicher, dass das nichts beeinflusst“, versprach der 61-Jährige, der nach der Rückkehr von Pepe ins individuelle Training auf einen Einsatz seines Abwehrchefs hofft. „Wir sprechen über Spieler, die es gewohnt sind, in der Champions League zu spielen.“
Aus dem Königsklassen-Finale vor sechs Wochen darf Ronaldo zumindest einen psychologischen Vorteil ziehen. Frankreichs EM-Held Antoine Griezmann donnerte einen Strafstoß für Atlético Madrid an die Latte, traf zwar im Elfmeterschießen - doch nach dem entscheidenden Versuch jubelte nur Ronaldo über den Triumph.
„Selbst wenn ich meine Karriere heute beenden würde, würde ich mich privilegiert fühlen“, erklärte der dreimalige Weltfußballer. „Es würde mir sehr viel bedeuten. Ich habe immer davon geträumt, etwas mit dem Nationalteam zu gewinnen.“
Schon einmal war Ronaldo ganz nah dran - doch 2004 scheiterte Portugal im Finale ausgerechnet vor heimischem Publikum mit 0:1 an Außenseiter Griechenland. Die Bilder wie er im Alter von 19 Jahren nach Schlusspfiff flehend zum Himmel schaut und schluchzend vom Platz geht, verfolgen ihn auch noch zwölf Jahre später. Nach seiner Gala mit seinem insgesamt neunten EM-Treffer und einer Vorlage beim 2:0 gegen Wales erinnerte Reals Top-Angreifer sofort an die Schmach von Lissabon und kündigte für dieses Finale „Tränen der Freude“ an.
Dass er vor seinem argentinischen Erzrivalen Lionel Messi den ersten Titel im Nationaltrikot feiern würde, wäre da nur noch die Zugabe. Selbst wenn ihm der EM-Triumph verwehrt bliebe, ginge Ronaldo als absoluter Topfavorit ins Rennen um seinen vierte Auszeichnung als Weltfußballer - nur noch eine weniger als Messi. „Er ist heißer Kandidat auf den Ballon d'Or“, schrieb „A Bola“.
Im EM-Finale darf Ronaldo zudem noch auf eine weitere persönliche Krönung hoffen. Nur noch ein Treffer fehlt dem 31-Jährigen, um vor Frankreichs gefallener Fußball-Legende Michel Platini die alleinige Führung in der ewigen EM-Torschützenliste zu übernehmen. „Das sind Dinge, die auf natürliche Art und Weise kommen. Ich bin nicht besessen davon“, sagte Ronaldo. „Ich möchte in die Geschichte eingehen.“ Nun soll noch der fehlende Titel diesen durchgestylten Lebenslauf krönen.