Spanien verabschiedet seine goldene Generation
Saint-Denis (dpa) - Spanien verabschiedet sich von seiner goldenen Fußballer-Generation. Zwei Jahre nach dem bitteren Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft in Brasilien hat die Achtelfinal-Niederlage gegen Italien nur bestätigt, dass die Ära des Tiki-Taka zu Ende gespielt ist.
„Wir sind nicht mehr die Besten“, titelte die Sportzeitung „Marca“. „Wir sind Geschichte.“ Die Suche nach einem Nachfolger von Vicente del Bosque läuft nun auf Hochtouren. Einen klaren Favoriten gibt es nicht.
Del Bosques Team hatte noch eine Nacht im Trainingscamp auf der Ile de Ré verbracht. Die Schlagzeilen konnten die Spieler da schon lesen. „La Floja“ („Die Schwache“), schrieb „Mundo Deportivo“ in dicken Lettern und in Anlehnung an „La Roja“ („Die Rote“). In Italien spottete derweil die „Corriere dello Sport“ nach dem 0:2 gegen die Squadra Azzurra: „Tikitalia“.
Die Bilder von Andrés Iniesta, Sergio Ramos, David Silva, Sergio Busquets, Gerard Piqué und Co. werden diesmal nicht in Gold gerahmt, sondern eher wie leicht vergilbte Poster von den Wänden gerissen. Nach den Erfolgen von Real und Atlético Madrid und des FC Sevilla in den europäischen Wettbewerben enttäuschte nun das Nationalteam, das 2008 und 2012 als Europa- und 2010 als Weltmeister gefeiert worden war.
„Die Mannschaft hatte nicht das Niveau von 2010 und 2012“, sagte Piqué. Der Innenverteidiger vom FC Barcelona war einer der wenigen, die sich im Stade de France den Reportern stellten. „Man muss die Enttäuschung hinnehmen, wie sie ist“, meinte der diesmal blasse Stratege Andrés Iniesta. Torhüter-Legende Iker Casillas, der den Platz zwischen den Pfosten David de Gea hatte überlassen müssen, schlich wortlos davon. Sein Rücktritt aus dem Nationalteam steht wohl bevor.
Gefasst stellte sich del Bosque bei der Pressekonferenz, wo die erste Frage seiner persönlichen Zukunft galt. „Ob ich weitermache oder nicht, muss ich mit dem Präsident besprechen“, sagte der 65-Jährige. Er will die Entscheidung mehr oder weniger dem Verband überlassen. „Ich habe nicht nein oder ja gesagt“, antwortete er auf eine weitere Nachfrage. „Ich werde mit ihm reden.“
Der Erfolgscoach verabschiedete sich zum zweiten Mal hintereinander bei einem Turnier durch die Hintertür. Es wird wohl sein endgültiger Abschied sein, auch wenn del Bosque erneut eine klare Aussage verweigerte. Der „Marqués“ (Markgraf), der den Adelstitel 2011 vom damaligen König Juan Carlos erhalten hatte, wirkte zuletzt auch etwas müde. „Genervt“, wie er selbst sagte, von den „Lügen über Lügen“, die in den Medien verbreitet werden - und wohl auch von dem, was sich rund um seine Mannschaft abspielte. Schlagzeilen wie jene über Torhüter David de Gea, dessen Name in Ermittlungen bei einem Skandal um einen Porno-Ring genannt worden war, sind dem stets überaus korrekten Del Bosque zuwider.
Der Kreis der Nachfolgekandidaten ist so groß, dass „Marca“ am Dienstag zur Abstimmung unter den Lesern, wer denn der Geeignete sei, eine Liste von gleich elf Trainern anbot. Nach Angaben des Blattes ist Julen Lopetegui, der bereits die spanische U21-Auswahl trainiert hat, Favorit. Lopetegui hatte den Verband einst verärgert, weil er 2014 zum FC Porto gewechselt war - was man ihm inzwischen anscheinend verziehen hat.
Das Sportblatt „As“ handelt den derzeit vereinslosen Joaquín Caparrós (zuletzt FC Granada) als Topkandidaten. Auch der frühere Real-Profi Michel, der im April als Coach von Olympique Marseille entlassen wurde, ist im Gespräch.
König Felipe VI. telefonierte nach dem EM-Aus mit Verbandspräsident Ángel María Villar, „um seine Unterstützung der Nationalmannschaft auszudrücken, nachdem diese ihre Teilnahme an der Europameisterschaft in Frankreich abgeschlossen hat.“ So drückte es der RFEF in einer Mitteilung aus. Spaniens allerletzter Abflug von der Europameisterschaft war für Dienstag 12.00 Uhr in La Rochelle terminiert. Bereits am 6. Oktober gibt's für die Spanier ein Wiedersehen mit den Italienern - in der WM-Qualifikation.