Spanische Fiesta nach Titel-Triple
Kiew (dpa) - Kurz vor Mitternacht nahm die ausgelassene Fußball-Fiesta Züge eines Kinderfestes an. Fast der halbe Kader des frisch gekürten Europameisters Spanien tollte nach dem triumphalen 4:0 (2:0) gegen die bedauernswerten Italiener mit seinem Nachwuchs über den Platz.
Selbst die Kleinsten mit Schnuller im Mund und auf dem Arm ihrer Papas trugen das traditionelle rote Trikot der „Roja“. Das vergnügliche Bild mit dem Nachwuchs hatte Symbolkraft, die geschlagenen Konkurrenten wie Bundestrainer Joachim Löw nicht gefallen konnte. Die ganze Fußballwelt konnte sehen, dass Spaniens Wunderteam auch nach drei Titeln noch lange nicht alt und satt ist, sondern jung, dynamisch und immer bereit zur nächsten Titeljagd, lautete die Botschaft.
„Spanien und niemand sonst hat das beste Fußball-Team aller Zeiten. La Roja stößt in eine neue Dimension vor und erklimmt den fußballerischen Olymp“, schrieb die Zeitung „Marca“. „Gewinn der EM 2008, der WM 2010 und der EM 2012: Spanien hat das beste Team der Fußballgeschichte. Gegen Italien zeigte es zudem die glänzendste Fußballshow, die man je in einem EM-Finale gesehen hat“, jubelte „As“.
Es prasselte im Olympiastadion Kiew ein nicht enden wollender Konfettiregen auf die triumphierenden Spanier hernieder. Ihre Fans sangen ausgelassen „Campeones, campeones, olé, olé, olé“ und schwenkten rot-gelbe Landesflaggen. Die spanische Herrschaft in Europas Fußball war eindrucksvoll bestätigt.
Nur Vicente del Bosque war nach dem historischen Titel-Triple irgendwie untergetaucht. „Der König hat mich angerufen, und auch Kronprinz Felipe hat uns zum Erfolg gratuliert“, erklärte der Trainer bei der Abschlusspressekonferenz fast schon staatsmännisch seine vorübergehende Absenz. „Es war eine außergewöhnliche Nacht. Wir haben Historisches erreicht.“
Morgens um Vier, als in der ukrainischen Hauptstadt bei lauen 20 Grad noch immer der Bär steppte, saß del Bosque völlig entspannt mit einer dicken Zigarre auf der Terrasse des Mannschaftshotels „Opera“. Angeregt plauderte der sympathische 61-Jährige mit einigen Fans. Schlafen konnte er nach dieser magischen Nacht auf dem Rückflug nach Madrid nicht, wo für den Nachmittag die ersten Empfänge und Jubelparaden auf dem Programm standen.
Die Spieler, von denen etliche beim EM-Erfolg 2008 und dem ersten WM-Triumph 2010 schon dabei waren, gerieten angesichts des Erreichten und ihrer Gala im Endspiel ins Schwärmen. „Das ist etwas Einmaliges, Zauberhaftes, Unwiederholbares“, urteilte Andrés Iniesta sichtlich bewegt. „Das war ein Riesenspiel. Ich bin sehr, sehr glücklich. Es ist einfach fantastisch, Champion zu sein“, sagte der Mittelfeldzauberer, der von der UEFA zum besten Spieler des Turniers gekürt wurde.
Iker Casillas schwelgte: „Wir erleben den wunderbarsten Moment des spanischen Fußballs.“ Der Keeper und Kapitän der „selección“ zählt wie Iniesta, Xavi, Sergio Ramos, David Silva, Xabi Alonso, Fernando Torres und Cesc Fàbregas zu den Akteuren, die bereits in Österreich und Südafrika dabei waren. Freudetrunken stemmten die dreifachen Meister den Pokal in die Luft, hängten sich spanische oder auch katalanische Fahnen über die Schultern und tanzten ausgelassen auf einem Podest.
Ansonsten zeigten die Spanier trotz dieser einmaligen Titelserie keinerlei Überheblichkeit oder Arroganz, höchstens eine gewisse Genugtuung über die Galavorstellung und die Bestätigung ihres zuletzt in die Kritik geratenen „Tiki taka“-Stils. „Ich danke allen, die zu diesem Erfolg beigetragen und die unseren Spielstil mitentwickelt haben“, sagte del Bosque. Der Weg der spanischen Mannschaft sei klar vorgezeichnet. Iniesta, auch an diesem Abend mit seinem kongenialen Partner Xavi der überragende spanische Spieler, bezeichnete die „Treue zu unserem Stil“ als Grundlage für den Erfolg.
Wahre Größe zeigten Casillas & Co, als sie zu den niedergeschlagenen Italienern gingen, um diese zu trösten. „Italien hatte Pech mit der Verletzung von Thiago Motta“, sagte del Bosque. „Danach war es für sie vorbei.“ Trotz des klaren Ergebnisses habe es zwischen beiden Teams nicht so große Unterschiede gegeben.
Kritiker, die nach gewissen Schwierigkeiten in der Gruppenphase gegen Italien (1:1) und Kroatien (1:0) sowie dem mühevollen Halbfinalsieg gegen Portugal im Elfmeterschießen (4:2, 0:0) vorschnell von dem Ende einer Ära sprachen, sind nun eindeutig widerlegt. Spanien hat mit seinem einmaligen Kombinationswirbel und unglaublich viel Ballbesitz die Konkurrenz zum dritten Mal hintereinander düpiert.
Mit dem ebenfalls stark kritisierten Wechselspiel zwischen einem klassischen Mittelstürmer (Torres) und einem „falschen Neuner“ (Fàbregas) hat del Bosque möglicherweise sogar eine richtungsweisende neue taktische Variante entwickelt. Der erst in der 75. Minute für Fàbregas eingewechselte Torres sicherte sich mit dem 3:0 (84.) und der Vorlage zum 4:0 durch Juan Mata (88.) sogar noch sensationell den „Goldenen Schuh“ des Torschützenkönigs. David Silva (14.) nach Fàbregas-Flanke und Jordi Alba (41.) hatten die Pausenführung besorgt.