Nationalmannschaft Huth vs. Tah: Jugend schlägt Reife
Robert Huth wird in England gefeiert und vielleicht Meister, doch Löw setzt auf den Debütanten Jonathan Tah.
Berlin. Es ist viel geredet und geschrieben worden in den vergangenen Monaten über die englische Premier League. Kraft ihrer monetären Möglichkeiten seien die Vereine in der Lage, künftig überall die besten Spieler wegzulotsen. Auch durch die Bundesliga ging ein kollektiver Aufschrei — Manager warfen ein düsteres Bild vom drohenden Ausverkauf an die Wand und warnten vor dem Verlust der Konkurrenzfähigkeit.
Aktuell spiegelt sich die immense Finanzkraft der mit üppigen TV-Geldern überschütteten Liga noch nicht in den Statistiken wider. Im Viertelfinale der Champions League stehen drei spanische und zwei deutsche Mannschaften — das Fähnchen der Engländer hält nur Manchester City hoch. Und auf der Insel treibt gerade Leicester City die besonders betuchten Vereine in die Verzweiflung. Der No-Name-Club hat erstklassige Chancen, den Titel zu gewinnen. Was auch ein Verdienst des Deutschen Robert Huth wäre.
Zweieinhalb Monate vor dem Start der EM in Frankreich kommt es am Samstagabend in Berlin (20.45 Uhr) in einem Testspiel zwischen Weltmeister Deutschland und den zuletzt bei großen Turnieren chronisch erfolglosen Engländern. Robert Huth wird nicht dabei sein; für den 31-Jährigen, der an seinem 20. Geburtstag in der DFB-Elf debütiert hatte, ist im deutschen Kader kein Platz. Beim 7:2-Sieg über die Vereinigten Arabischen Emirate bestritt Huth sein 19. Länderspiel. Das war 2009 — seitdem ist er raus. Zwei Jahre später erfuhr der Spieler dies auch offiziell. „In meinen Planungen spielt er keine Rolle mehr“, sagte Bundestrainer Joachim Löw.
Das muss den jungen Mann mit den endlos breiten Schultern ziemlich hart getroffen haben. Huth würde auch als Türsteher oder Bodyguard eine erstklassige Figur abgeben, tatsächlich wird dem gewaltigen Schrank ein sehr weicher Kern nachgesagt. In Leicester schätzen und lieben sie Huth, Löw hat ihn schon lange nicht mehr auf dem Zettel. Mitunter pflegt der Bundestrainer einen sehr eigenwilligen Weg.
Bei den Länderspielen gegen England und am Dienstag gegen Italien in München könnte nun die erste Stunde eines neuen Innenverteidigers schlagen. Löw hat angekündigt, dass er den Leverkusener Jonathan Tah zumindest einmal in die Startformation stellen werde. 20 Jahre ist er alt, 1,92 m groß und ein Kerl wie ein Baum — Parallelen zum jungen Huth sind nicht zu leugnen.
Tah, der Rohdiamant mit ivorischen Wurzeln, wuchs in Hamburg auf. Bei Altona 93 durchlief er mehrere Jugend-Jahrgänge, danach wechselte er zum HSV, der ihn im Sommer für acht Millionen Euro Ablöse zu Bayer Leverkusen ziehen ließ. Schon sehr früh wurde der DFB auf das Talent aufmerksam, mit 15 spielte Tah im U-17-Nationalteam.
Nun wird er A-Nationalspieler. Auf die Nominierung hat er reagiert wie jeder Debütant: „Das ist ein Traum.“ So hat es auch Robert Huth formuliert. Vor elf Jahren. Vielleicht gewinnt der „alte Hase“ nun mit Leicester die Meisterschaft in der Premier League. In den EM-Kader wird ihn dieser Triumph nicht spülen, diese Zeit ist vorbei. Für Jonathan Tah fängt sie gerade an. „Er hat einen Körper wie ein Bulle. Und es ist unheimlich schwierig, gegen ihn zu spielen“, sagt Stefan Kießling, Stürmer in Leverkusen, über seinen jungen Mitspieler. Genau das sagen sie in Leicester auch über Robert Huth.