Zweifel(n) verboten: Großbaustelle EM 2012

Kiew/Warschau (dpa) - Das Nationalstadion in Warschau eine Dauerbaustelle, der neue Flughafen-Terminal in Danzig nicht mehr als ein Stahlgerüst. Ein Jahr vor Beginn der Fußball-EM in Polen und der Ukraine schuften die lokalen Organisatoren und die kummergeplagte UEFA an mehreren Großbaustellen.

„Polen ist jetzt bei 80 Prozent, die Ukraine ein bisschen dahinter“, sagt Martin Kallen. Der Schweizer ist Turnierdirektor des Euro-Experiments im Osten. Und bei seinen Zahlenspielen schwingt sehr viel Optimismus und guter Wille mit.

Denn auf einem fünftägigen Trip durch zwei Länder, bei einem Besuch aller acht Spielorte, bei einer Reise über mehr als 4000 Flugkilometer kommt dem Beobachter eher ein „Wie soll das bloß fertig werden?“ über die Lippen als ein „Das ist ja schon fast fertig“. In Lwiw gibt es Probleme bei der Bestellung moderner Busse zum Transport der Fans zum Stadion. Die Arena soll im Oktober eröffnet werden - ein Termin der beim Anblick von nacktem Beton, Lastwagen im Innenraum und Schrott an den Zufahrtswegen nur schwer realisierbar erscheint.

Selbst Kallen, der Motivator und Kontrolleur, der Unterstützer und Oberaufseher, glaubt nicht so recht daran. Zweifel befallen den 47-Jährigen auch beim Gang über das staubige Gelände rund um das Olympiastadion in Kiew. Es ist heiß, mehr als 30 Grad, Kallen hat das Jackett ausgezogen und beobachtet Schweißarbeiten im Innenraum, Spachtelarbeiten an der Außentreppe oder Ausbesserungen an der Dachkonstruktion. „Es ist machbar, aber noch viel Arbeit“, sagt er. „Wir dürfen jetzt keinen Tag mehr verlieren, die haben uns jeden Tag am Hals“, sagt der erfahrene Turniermacher.

Das ist auch nötig, denn die beiden ersten Jahre nach dem EM-Zuschlag haben beide Länder mehr oder weniger verpennt, politische Diskussionen geführt, Bauunternehmen engagiert und entlassen. Vor 18 Monaten noch hatte die Ukraine eine „sehr dunkelgelbe Karte“ gesehen, wie es UEFA-Generalsekretär Gianni Infantino formuliert. UEFA- Präsident Michel Platini drohte mehrmals mit dem Entzug der Co- Gastgeberrolle für das kontinentale Großereignis vom 8. Juni bis 1. Juli 2012, brachte unverhohlen Deutschland als Nothelfer ins Gespräch und sprach von einem „Fehler“, die EM erstmals an zwei Staaten Zentral- und Osteuropas vergeben zu haben.

Doch in der Zeit der Zweifel hat die Europäische Fußball-Union (UEFA) das Kommando übernommen und bezahlt mittlerweile fast 700 Mitarbeiter, um das Projekt nun mit aller Konsequenz durchzuziehen - so viel wie noch nie. Dafür nimmt der Verband auch Verstöße gegen die Bewerbungskriterien in Kauf. Ein Jahr vor EM-Beginn ist längst nicht alles fertig. In Kiew sagt Kallen: „Wenn es nicht im August fertig wird, wird es eben später fertig. Das ist nicht das Ende der Welt.“

Infantino sagt in der ukrainischen Hauptstadt, in der am 1. Juli 2012 der neue Europameister gekürt wird: „Jetzt ist nicht mehr die Zeit der Drohungen, jetzt ist die Zeit der Motivation.“ Einen Tag später sitzt der glatzköpfige Italiener in Warschau bei der „One year to go“-Pressekonferenz und sagt: „Ich habe in den letzten Monaten viele Haare verloren. Aber die vielen Verspätungen haben unser Vertrauen nicht erschüttert.“

Die Reise Lwiw-Donezk-Charkow-Kiew-Warschau-Breslau-Posen-Danzig öffnet allerdings die Augen. In der Ukraine präsentieren sich Beschwichtigungsbeamten und milliardenschwere private Geldgeber und sagen: „Alles kein Problem, wir haben ja noch ein Jahr Zeit.“ In Donezk und Charkow stehen zwei fantastische Stadien, in Donezk hinkt aber der Flughafenausbau hinterher. Lwiw bezaubert als charmantes historisches Städtchen, wirkt aber als EM-Stadt überfordert. Kiew sammelt Pluspunkte als pulsierende attraktive Millionen-Metropole, muss sich aber beim Stadion und dem Flughafen-Terminal sputen.

„Stand jetzt ist Charkow am weitesten“, sagt Kallen, was die Stadt vor allem den Millionen von einem Herrn namens Alexander Jaroslawski zu verdanken hat. Der Präsident des Fußballclubs Metalist Charkow hat bislang nach eigenen Angaben 265 Millionen Dollar locker gemacht - für die Arena, den Flughafen und ein Luxushotel.

Auch in Polen wiederholen sich die Beteuerungen. „Alles ist unter Kontrolle. Natürlich hatten wir Probleme, so wie es überall Probleme gibt bei der Vorbereitung von Großereignissen“, sagt der Bürgermeister von Breslau. In Warschau schimpft der deutsche Chef des neuen Bauunternehmens für das Nationalstadion über die polnische Presse, „die alles kaputt schreibt“. In Posen wird das Problem mit gewaltbereiten Fans als „nebensächlich“ abgetan, in Danzig preist man nach „einer gewaltigen Herausforderung“ das „ohne Zweifel schönste Stadion der EM 2012“. Tatsächlich sind die Organisatoren in Polen weiter, die Vorbereitungen wirken insgesamt etwas professioneller.

Doch in Warschau und Danzig mussten zwei terminierte und geplante Länderspiele kurzfristig verlegt werden, weil in den Stadien noch nicht gespielt werden konnte. Zum Abschluss der Reise im schmucken Danzig soll Kallen überraschend im Rathaus ein Grußwort sprechen. Nach dem obligatorischen Dank blickt er vom Rednerpult auf und sagt: „Jetzt sind der Flughafen und der Straßenausbau in Richtung Stadt die wichtigsten Projekte.“ Ohne erhobenen Zeigefinger und permanenten Druck geht es auch hier nicht. „Das wird ganz schön knapp, aber die wissen, wie wichtig uns das ist“, sagt Kallen.