Niersbachs Wahrheitsfindung - „Zermartere mir den Kopf“

Frankfurt/Main (dpa) - Wolfgang Niersbach wirkt angespannt. Als der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes den Sepp Herberger Tagungsraum 4 in der Frankfurter Verbandszentrale betritt, weist er erst einmal die Fotografen zurecht, sie mögen doch etwas Abstand halten.

Foto: dpa

Die tiefen Ringe unter den Augen des DFB-Bosses sind aber auch aus etwas Entfernung nicht zu übersehen. Niersbach durchlebt gerade schwere Tage, das ist in seinem Gesicht und der Art und Weise, wie er redet, deutlich ablesbar. „Ich zermartere mir auch den Kopf, seitdem das in der Welt ist“, sagt Niersbach, müde, angeschlagen und fast schon ein bisschen resignierend.

Mit „das“ sind die ominösen 6,7 Millionen Euro gemeint, die der „Spiegel“ am vergangenen Freitag zutage geführt hat und mit denen angeblich die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland geholt worden sein soll. Das wiederum weist Niersbach bei seiner ebenso überraschend wie überstürzt einberufenen Pressekonferenz erneut vehement zurück. „Das Sommermärchen war ein Sommermärchen, und es bleibt ein Sommermärchen“, sagt Niersbach und wiederholt damit das, was er schon am Wochenende im verbandseigenen TV-Sender und am Montag im Fußballmuseum in Dortmund erklärt hat.

Inhaltlich hatte sich Niersbach zur ominösen Zahlung aber lange nicht geäußert. Nach der FIFA-Sitzung in Zürich stellte sich der 64-Jährige am Dienstag nicht den Fragen der Weltpresse - aus gutem Grund, wie er nun verkündet. Denn an jenem Tag trifft er sich mit Franz Beckenbauer, dem strahlenden Gesicht der WM 2006. Niersbach reist nach der Tagung zum Fußball-Kaiser nach Salzburg, weil er erfahren will, was dieser über die dubiosen Vorgänge von damals weiß.

Was Niersbach von Beckenbauer hört, dürfte ihn nicht beruhigt haben. Ganz im Gegenteil. Denn was bei dem Gespräch herauskommen ist, schildert der DFB-Chef so: Beckenbauer habe seinem damaligen WM-OK-Kollegen erzählt, wie das seinerzeit, im Januar 2002, gelaufen sei. Der DFB wollte einen Millionenzuschuss in Höhe von 250 Millionen Schweizer Franken von der FIFA für die WM 2006, wie ihn auch Japan und Südkorea als Veranstalter des Weltturniers 2002 bekommen hatten. Der Weltverband sagt diesen auch zu, verlangt als Gegenleistung aber erst einmal eine Zahlung von zehn Millionen Schweizer Franken, umgerechnet 6,7 Millionen Euro. Komische, dubiose, unschöne große Fußball-Welt.

Doch es wird noch bizarrer: Weil das deutsche WM-OK zu diesem Zeitpunkt noch nicht über die nötigen Gelder verfügt, will Beckenbauer demnach mit seinem Privatvermögen einspringen. Sein damaliger Berater Robert Schwan rät davon ab, bringt aber Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus ins Gespräch. Beckenbauer und FIFA-Präsident Joseph Blatter klären die Details unter vier Augen. Blatter erklärte, dass er keine Kenntnis über den Vorgang habe. Wie Niersbach weiter ausführt, habe Milliardär Dreyfus die geforderte Summe an die FIFA-Finanzkommission überwiesen und der DFB daraufhin den Zuschuss erhalten. Eine Version, die die FIFA nach erstem Kenntnisstand umgehend als falsch zurückwies.

Niersbach selbst habe von den Details nichts gewusst, beteuert der DFB-Boss. Die Bewerbung und die Organisation seien „extrem komplex“ gewesen, an alle Details könne er sich mehr als zehn Jahre später nicht mehr erinnern. Er sei auch nicht in alles eingebunden gewesen.

Was Niersbach weiß, ist, dass Dreyfus das Geld 2005 plötzlich habe zurückhaben wollen. Eigentlich wäre dafür die FIFA zuständig gewesen, die das Geld damals ja auch erhalten hatte. Doch weil das WM-OK inzwischen über eine volle Kasse verfügt, fordert der Weltverband den DFB auf, die Schuld zu begleichen. Das tut dieser schließlich unter dem Decknamen „WM-Kulturprogramm“. Die FIFA erhält also zweimal Geld, ob sie es tatsächlich an den Adidas-Chef weitergeleitet hat, „entzieht sich meiner Kenntnis“.

Wie Niersbach da vorne im Raum sitzt, sich immer wieder verhaspelt und nervös mit den Füßen kippelt, hat man den Eindruck, als könne der DFB-Präsident selbst nicht ganz glauben, was er da nach dem Gespräch mit Beckenbauer berichtet. „Da sind schon noch ein paar Fragen offen“, räumt er ein. Korruption habe es weder in der Bewerbungsphase noch danach im Zusammenhang mit der WM 2006 gegeben, versichert er zwar wiederholt. Doch so recht glauben mag das im Raum nach Niersbachs Ausführungen kaum jemand.

Zum Ende seines 40-minütigen Auftritts werden Niersbachs Aussagen immer verwirrender. Man sieht, wie das Thema an ihm nagt und vor allem die Tatsache, dass er es nicht allein aufklären kann. Dafür wäre die Hilfe der übrigen OK-Mitglieder notwendig. Doch Beckenbauer schweigt öffentlich ebenso beharrlich wie zum Beispiel Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger, der sich erst nach seinem Urlaub äußern will. Andere Protagonisten wie Schwan oder Louis-Dreyfus leben nicht mehr.

So ist es Niersbach, auf den sich als DFB-Boss alle Fragen und Vorwürfe kaprizieren. Ob er sich nicht ein wenig im Stich gelassen fühle von seinen alten Weggefährten, mit denen er auf den Fotos von damals um die Wette strahlt. Niersbach zuckt resigniert die Schultern, sagen möchte er dazu nichts. Als er den Raum verlässt, wirkt er fast schon ein bisschen erleichtert. Endlich ist er dem Druck der Öffentlichkeit nachgekommen und hat sich geäußert.

Aufgeklärt hat er aber nur wenig. Am Ende sind mehr neue Fragen hinzugekommen, als dass er Antworten gegeben hat. Das Thema wird Niersbach weiter verfolgen. Schon an diesem Freitag, wenn das DFB-Präsidium in Dortmund zusammenkommt.