Fan-Proteste Münchner „Schickeria“-Mitglied: Warum die Situation zwischen DFB und Ultra-Szene eskaliert

Die Wogen haben sich längst noch nicht geglättet. Auch die „Schickeria“, die vermutlich meinungsstärkste Fan-Gruppierung des FC Bayern München, war nach den Vorfällen von Sinsheim überrascht. Alexander Heflik sprach mit einem Mitglied der „Schickeria“.

Münchner Fans. Foto: Archiv 2019/Symbolbild

Foto: picture alliance/dpa/Sven Hoppe

„Alles beim Alten: Der DFB bricht sein Wort – Hopp bleibt ein Hurensohn.“ So stand es auf dem Plakat, das beim Bundesliga-Spiel zwischen Gastgeber TSG Hoffenheim und dem Rekordmeister hochgehalten wurde – und am Ende durchaus zum Spielabbruch hätte führen können.

Alexander Heflik, Sportchef bei den Westfälischen Nachrichten, sprach mit einem Mitglied der „Schickeria“, einer im Kern rund 200 Mitglieder starken Vereinigung der aktiven Fanszene, die aber über eine große politische Bedeutung und auch einen enorm großen Sympathisantenkreis verfügt. Der Name der Person ist der Redaktion bekannt. Über Alter und Beruf wurde Stillschweigen vereinbart, ein Münchener, der „fast immer dabei ist“, wenn die Bayern spielen.

Warum wird der 77 Jahre alte Dietmar Hopp als Hurensohn bezeichnet?

Dies sei eine Begrifflichkeit, die nicht zum üblichen Sprachgebrauch der „Schickeria“ gehöre. Vielmehr ist es eine Anleihe, die von Borussia Dortmund übernommen wurde. „Es ist für uns ein Mittel zum Zweck. Das eigentliche Anliegen ist dabei gegen die Sportgerichtsbarkeit gerichtet, gegen die Kollektivstrafe.“ Bestätigt wird, dass dieser Kulturkampf in der Kurve auch auf dem Rücken von Hopp ausgetragen werde. Offiziell erklärte die „Schickeria“: „Kollektivstrafen widersprechen nicht umsonst dem Schuldprinzip im Strafrecht. Lediglich in der Paralleljustiz, die sich der DFB geschaffen hat, sind solche Strafen möglich.“

Wieso eskalierte in den letzten Tagen und Wochen die Situation?

Ausschlaggebend sei für die Ultra-Szene die Strafe, die gegen die komplette Dortmunder Anhängerschaft verhängt wurde. Zwei Jahre bleiben BVB-Fans von Gastspielen in Sinsheim ausgesperrt, weil diffamierende Plakate (Fadenkreuz-Banner) und Beleidigungen gegen Hopp nicht aufhörten. Die „Schickeria“ glaubt, dass Hopps Verhalten auch einer der Auslöser ist, denn „eigentlich ist der Protest gegen Hoffenheim eingeschlafen gewesen“. Durch die Rücknahme der Entscheidung von 2017, jetzt wieder Kollektivstrafen zu etablieren, werde kritisiert, dass „neue Standards umgesetzt werden. Irgendwann wird man bestraft, weil man ein Trainingslager in Katar kritisiert. Das Urteil birgt großes Konfliktpotenzial.“

Kann von einer bundesweit einheitlichen Linie unter den Ultra-Gruppen gesprochen werden?

Tenor der „Schickeria“ ist, dass all die Probleme wie die Aufweichung der 50+1-Regel für Investoren im Profifußball, in der Hopp eine zentrale Figur ist, seit Jahren kontrovers debattiert werden. „Viele Ultras liegen hier auf einer Wellenlänge.“

Gibt es aus Sicht der aktiven Fanszene Lösungsvorschläge für den Streit?

Ganz klar, die Aufhebung der Kollektivstrafe durch den DFB. Den geplanten runden Tisch sehen die Ultras skeptisch. „Nach der Wucht der Bilder vom Wochenende wollen wir den anderen Stadionbesuchern auch unsere Gründe näher bringen.“ Die dauerhafte Eskalation wird auch in Teilen Hopp und seinen Verhaltensweisen vorgeworfen. „Er hat die Fans mit Schallkanonen beschießen lassen und Richt-Mikrofone auf die Gäste-Kurve in Sinsheim gerichtet“, lauten Kritikpunkte. Auch das Zusammenwerfen der Hopp-Kritik mit dem Rassismus-Thema wird als „oberflächlich“ bezeichnet.

Weshalb ist die Wortwahl so derbe?

„Mit einer sachlichen Kritik hätten wir kein Gehör bekommen“, sagt der „Schickeria“-Vertreter. Diese Wortwahl, auch Beschimpfungen, seien nun mal nicht unüblich an Fußballorten. In einer offiziellen Pressemitteilung der Gruppierung heißt es: „Beleidigungen sind im Fußball gang und gäbe, und Fankurven sind keine Gerichtssäle, in denen jedes Wort wohlüberlegt verwendet wird. Fankultur ist bunt und laut, manchmal aber auch archaisch und dreckig. Und das ist gut so.“