Fall Suárez: Kommission kann frei entscheiden
Rio de Janeiro (dpa) - Das sportliche Schicksal von Uruguay-Stürmer Luis Suárez liegt nach der Beißattacke von Natal ganz in den Händen der Disziplinarkommission des Fußball-Weltverbandes FIFA.
Das Gremium unter der Leitung von Claudio Sulser - einem früheren Schweizer Fußball-Profi - ist nach den FIFA-Statuten frei in seiner Entscheidung und hat aufgrund mehrerer Paragrafen im Disziplinarkodex einen großen Interpretationsspielraum bei einer möglichen Bestrafung des Angreifers.
Die FIFA wies alle Spekulationen über den Prozessverlauf zurück. Doch die Regeln in dem 74-seitigen FIFA-Rechtskatalog geben interessante Aufschlüsse zu wichtigen Fragen in dem WM-Skandalfall.
Bis wann muss die FIFA-Disziplinarkommission ein Urteil fällen?
Grundsätzlich ist das Gremium frei in seiner Entscheidung. Ausmaß und Dauer können beliebig ausgedehnt werden. Doch mit einer raschen Entscheidung ist in diesem Fall zu rechnen. „Die Kommission weiß, dass Uruguay noch im Turnier ist“, hieß es am Mittwoch vielsagend aus FIFA-Kreisen. Deutlich vor dem Achtelfinale Uruguays am Samstag gegen Kolumbien dürfte das Urteil gefällt werden.
Kann Suárez mit einem Einspruch eine Sperre bis nach dem nächsten WM-Spiel herauszögern?
Theoretisch ja. Er hat die Möglichkeit zum Einspruch, aber dann könnte die Berufungskommission diesen schnell ablehnen oder direkt an die höchste Instanz der Sportgerichtsbarkeit verweisen - den Internationalen Sportgerichtshof CAS. Die Ad-hoc Divsion des CAS könnte rasch ein dann unanfechtbares Urteil fällen. Die FIFA-Regularien sehen in Paragraf 118 allerdings vor, dass Suárez keine Einspruchsmöglichkeit bei einer Sperre von weniger als drei Spielen oder zwei Monaten hätte. Mit einer Sperre für sechs Wochen, könnte die FIFA den Stürmer zum Beispiel ohne Einspruchsmöglichkeit von der WM ausschließen.
Was sind dieMindest- und Höchststrafen für Suárez?
Wird der Stürmer unter Berufung auf Artikel 48 (Unkorrektes Verhalten gegenüber Gegenspielern oder gegenüber anderen Personen als Spieloffiziellen) verurteilt, wird er mindestens für zwei Spiele gesperrt, sofern die Kommission den Biss als Tätlichkeit wertet. Bei dem Vorstrafenregister von Suárez dürfte die Sperre aber in jedem Fall höher ausfallen. Artikel 19.3 der FIFA-Regularien sieht eine Maximalsperre von 24 Spielen oder zwei Jahren vor.
Für welche Wettbewerbe gilt eine Sperre?
In der Regel werden Sperren von der FIFA nur für gleichgelagerte Wettbewerbe ausgesprochen. Das heißt, eine Sperre aus einem Vergehen in einem Freundschaftsspiel gilt für folgende Freundschaftsspiele, aus einem Pflichtspiel für folgende Pflichtspiele. Wird dieses Verfahren wieder angewendet, wäre Suárez bei der WM gesperrt und eventuell in dann folgenden Pflichtspielen Uruguays bei der Copa America 2015 in Chile, für die es keine Qualifikationsspiele gibt. Scheidet Uruguay dort früh aus, könnte sich eine Strafe auch bis zur Qualifikation für die WM 2018 oder gar das Turnier in vier Jahren in Russland ziehen.
Könnte die FIFA Liverpool-Stürmer Suárez auch für Spiele der Premier League oder Champions League sperren?
Ja, auch das ist möglich. Artikel 39.2 regelt dies. Darin heißt es. „Der Geltungsbereich einer Sanktion kann auf eine geografische Region oder eine bestimmte Kategorie/bestimmte Kategorien von Spielen oder Wettbewerben begrenzt sein.“ Diese Kann-Bestimmung erlaubt auch den Umkehrschluss, also eine Ausweitung auf andere Regionen oder Wettbewerbe.
Wer urteilt über Suárez?
Die FIFA-Disziplinarkommission ist ein unabhängiges Gremium mit insgesamt 21 Mitgliedern aus allen sechs FIFA-Konföderationen. Ihr Vorsitzender Sulzer ein ehemaliger Stürmer von Grashoppers Zürich. Der Schweizer stellt für jeden Fall eine Gruppe aus der Kommission zusammen. Welche Kommissionsmitglieder über Suárez urteilen, war am Mittwoch nicht bekannt. Der Vorsitzende und der Vizevorsitzende müssen über eine juristische Ausbildung verfügen. In besonderen Fällen kann der Vorsitzende alleine entscheiden.
Worauf gründet die Kommission ihr Urteil?
Alle Beweismittel werden angenommen, ausdrücklich auch TV-Bilder. Der relevante Artikel 96 besagt konkret: „1. Es können Beweismittel jeder Art eingereicht werden. 2. Zurückgewiesen werden Beweismittel, die menschenunwürdig oder offensichtlich nicht relevant sind. 3. Zugelassen sind insbesondere: die Berichte des Schiedsrichters, der Schiedsrichterassistenten, des Spielkommissars und des Schiedsrichterinspekteurs, die Aussagen der Parteien und der Zeugen, materielle Beweisstücke, Gutachten sowie Ton- und Bildaufzeichnungen.“