Löws heißer Probelauf - Grünes Licht für Neuer
Santo André (dpa) - Portugal rückt rasant näher - und mit einer ungewöhnlichen Live-Simulation wollen Joachim Löw und seine Spieler noch besser gerüstet sein für den heißen WM-Start.
Erstmals in den Tagen von Brasilien passte das deutsche Team am Mittwoch den Tagesablauf komplett an die erste Turnier-Anstoßzeit um 13.00 Uhr Ortszeit an. Kurz nach dem Sonnenaufgang klingelten die Wecker in den Wohngemeinschaften im Campo Bahia. „Das sind natürlich Uhrzeiten, die viele von uns nicht gewohnt sind“, räumte Bundestorwarttrainer Andreas Köpke ein.
„Die Mannschaft wird mit einer sehr guten Einstellung die Bedingungen annehmen“, versprach Kapitän Philipp Lahm für die letzten Vorbereitungstage und das Match gegen Weltfußballer Cristiano Ronaldo und Co. am Montag in Salvador. Der 30 Jahre alte Münchner und sein Clubkollege Thomas Müller gehen mit neuen Bayern-Verträgen in die WM. Lahm verlängerte bis 2018, Müller sogar bis 2019 beim deutschen Rekordmeister.
Für Torwart Manuel Neuer steht die Ampel auf Grün. Nach seiner Schulterverletzung war der 28-Jährige fünf Tage vor dem WM-Anpfiff für Deutschland erstmals wieder beim Mannschaftstraining dabei. „Manuel ist auf einem richtig guten Weg“, betonte Köpke: „Teilweise hat er hier in Brasilien zweimal trainiert, um Vertrauen zu seiner Schulter zu gewinnen. Somit sind wir auch guter Dinge für das erste WM-Spiel. Wir kriegen das hin.“
Vom Trainer bis zum Physiotherapeuten, vom Sportpsychologen bis zum Koch, vom Zeugwart bis zum Arzt - alle mussten schon am Spieltag minus fünf zusammen mit den Spielern den WM-Ernstfall proben. Das Frühstücksbuffet im offenen Restaurant war schon an den ersten Tagen im deutschen Basiscamp frühzeitig angerichtet worden. Jetzt stand eine größere Mahlzeit, eine Kombination aus Frühstück und Mittag, für die Spieler bereit.
Die Anstoßzeit um 13.00 Uhr wurde beim Probelauf allerdings knapp verpasst. Erst sechs Minuten später kam das Team auf dem schicken Übungsplatz an. Der Schweiß floss unter der knallenden Sonne schon beim Aufwärmen in Strömen.
„Es ist schon ein anderer Rhythmus. Ich habe das in England erfahren“, berichtete André Schürrle. Mit dem FC Chelsea musste er in der Premier League schon einige Male mittags ran. Dazu kommt vor allem die ungewohnt hohe Luftfeuchtigkeit, die Löw in seinem Masterplan berücksichtigen muss. „Es wird schon eine andere Art von Fußball sein als der, den wir aus Europa kennen“, sagte der Chefcoach voraus. Vor einem Jahr beim Confed-Cup konnte er sich davon zusammen mit seinem Assistenten Hansi Flick persönlich ein Bild machen.
Powerfußball über 90 Minuten werde es nicht geben. Viele Teams würden wohl in den ersten Minuten eine Überraschung erzwingen wollen, glauben die DFB-Trainer. So dürfte schon gegen Portugal die Spielorganisation mitentscheidend sein. „Es wird nicht möglich sein, 90 Minuten lang Pressing zu spielen“, betonte auch Lahm, der bei seinem fünften Turnier von Löw zunächst im Mittelfeld eingeplant ist.
Entsprechend wird der Bundestrainer die Elf gegen die Portugiesen aufstellen, die ihren letzten Test mit dem genesenen Superstar Ronaldo gegen Irland mit 5:1 gewannen. Der physisch starke Münchner Jérome Boateng auf rechts und höchstwahrscheinlich der körperlich robuste Schalker Benedikt Höwedes auf der linken Abwehrseite sollen zunächst defensiv für Stabilität sorgen. In der Zentrale könnte Löw vor den Innenverteidigern Per Mertesacker und Mats Hummels eine Dreierkette mit Lahm, Sami Khedira und Toni Kroos formieren.
Sicherheit gilt als oberste Devise: Denn ein Rückstand in der Mittagshitze wäre gegen die starken Portugiesen wohl das größte Problem. „Ich brauche nicht unbedingt die Hitze. Ich habe aber keine Angst davor“, sagte Lahm. Auch wenn in der 9000 Kilometer entfernten Heimat die Erwartungen mit dem heranrückenden WM-Start wieder steigen, hat Teampsychologe Hans-Dieter Hermann keinen belastenden Druck ausgemacht. „Die Jungs haben viel Erfahrung, auch international. Mit Druck können sie wirklich gut umgehen.“
Die Motivation ist im Lager des dreimaligen Weltmeisters hoch. Als erstes europäisches Team in Südamerika einen WM-Titel zu holen, sei nochmals „ein besonderer Reiz“, sagte Schürrle. Der England-Profi selbst rechnet sich nach dem Verletzungsausfall von Marco Reus durchaus gute Chancen auf einen Starteinsatz gegen Portugal aus. „Ansprüche werde ich keine stellen, hier geht es um das Ganze“, meinte der 23-Jährige. Er passt aber in Löws Anforderungsprofil für die Offensive. „Die Stürmer müssen heute einfach variabel sein, beweglich gegen große Abwehrspieler. Manchmal können kleine, wendige Spieler dem Gegner mehr wehtun“, sagte der Bundestrainer.
Auch das kann Löw nun noch mehrmals unter 13.00-Uhr-Bedingungen überprüfen. Am Freitag und Sonntag wird noch zwei weitere Male zu dieser Zeit trainiert. „Am Montag ist es keine Simulation mehr“, sagte Köpke. Auch das womöglich entscheidende dritte Gruppenspiel gegen die USA im besonders heißen und feuchten Spielort Recife wird mittags angepfiffen.
„Wir haben in Santo André ein Klima, das in etwa dem von Salvador entspricht“, bescheinigte Teamarzt Tim Meyer der Portugal-Simulation einen hohen Praxiswert. „Es ist natürlich nicht die angenehmste Spielzeit, aber die hat der Gegner auch. Da muss man einfach clever spielen“, sagte Müller zu den extremen Bedingungen.