Eröffnungsspiele WM-Auftakt: Wenn Sommermärchen oder Demontierungen beginnen

Moskau (dpa) - Der Moment, in dem Philipp Lahm mit einem Traumtor das Sommermärchen 2006 beginnen ließ, ist in Deutschland unvergessen. Von innen in die Mitte ziehen, mit rechts schießen, Innenpfosten, Tor: Fertig war der Bilderbuch-Start der DFB-Elf um Trainer Jürgen Klinsmann in die Heim-WM.

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Beim 4:2 gegen Costa Rica glänzte der Gastgeber mit Kombinationen und spektakulärem Offensivfußball und entfachte damit eine erste Euphorie im Land. Die defensiven Schwächen, die die turbulente und torreiche Eröffnung auch herbeigeführt hatten, gerieten ein Stück weit in den Hintergrund.

Ein ähnliches Spektakel ist diesmal nicht zu erwarten, wenn Russland und Saudi-Arabien in Moskau die 21. Fußball-Weltmeisterschaft eröffnen. Die Sbornaja geht mit vielen Fragezeichen in das Turnier, ist defensiv fragil und offensiv berechenbar. Saudi-Arabien ist der klassische WM-Außenseiter. Geht es rein nach der FIFA-Weltrangliste, steht mit dem Duell zwischen dem 70. (Russland) und dem 67. (Saudi-Arabien) im Luschniki zum Start sogar das lausigste Match des gesamten Wettbewerbs an.

Schlechte und torlose Partien kennt man in der Historie von Eröffnungsspielen aber bereits. Zwischen 1966 und 1978 fiel zum Start jeweils gar kein Tor. Die öffentliche Zeremonie im Stadion, die geballte Prominenz im Stadion und der Druck des ersten Spiels, das man in der Gruppe auf keinen Fall verlieren sollte: Das alles scheint Teams in der Premierenpartie vor großer Weltkulisse zu hemmen. So auch England, das im ersten offiziellen Eröffnungsspiel am 11. Juli 1966 nicht über ein Remis gegen Uruguay hinauskam. 19 Tage nach dem müden 0:0 war England nach einem hochemotionalen 4:2 über Deutschland und dem legendären Wembley-Tor Weltmeister.

Bei den vorangegangenen sieben WM-Turnieren hatte es laut Reglement keine offiziellen Eröffnungsspiele gegeben. Erst vor wenigen Jahren wurden in den Statistiken des Weltverbandes FIFA die jeweils ersten WM-Gruppenspiele von 1930 bis 1962 nachträglich in den Rang von Eröffnungsspielen erhoben. Doch eigentlich verdiente sich in den ersten drei WM-Jahrzehnten nur das Match zwischen Deutschland und der Schweiz am 4. Juni 1938 diese Bezeichnung, da kein weiteres Spiel am Tag des WM-Auftakts angesetzt war. Die Deutschen spielten nach Verlängerung nur 1:1, verloren das damals übliche Wiederholungsspiel mit 2:4 und waren von da an nur noch WM-Zuschauer.

Auch 1978 und 1994 war die DFB-Elf - jeweils als Titelverteidiger - Hauptdarsteller beim WM-Startschuss. Während es 1978 wie 1938 keinen Sieg gab und das 0:0 gegen Polen schon ein schlechtes Omen für den Versuch der Titelverteidigung war, wurde 1994 in Chicago immerhin mit 1:0 gegen Bolivien gewonnen. Torschütze damals war Jürgen Klinsmann, der zwölf Jahre später als Bundestrainer auf Spektakel statt Vorsicht setzte. Beim 4:2 in München 2006 fielen exakt so viele Tore wie in den vier Eröffnungsspielen zuvor zusammen.

Übertroffen werden die Deutschen in der Zahl der Eröffnungsspiele nur von Mexiko, das 2010 in Südafrika zum fünften Mal die erste WM-Partie bestritt. Von 1958 bis 1970 eröffnete stets der Gastgeber das Turnier, und so reihte sich auch Mexiko nach den jeweils ersten WM-Spielen 1930, 1950 und 1958 als Ausrichter 1970 im Spiel gegen die UdSSR in die Serie der tristen 0:0-Eröffnungs-Kicks ein.

Nach einer Statuten-Änderung wurden zwischen 1974 und 2002 die WM-Turniere stets vom Weltmeister eröffnet, ehe die FIFA wieder zu ihrem vorherigen Ritual zurückkehrte und dem Gastgeber die Bühne für das erste Spiel überließ. Der bisher letzte Weltmeister, der eröffnete, war Frankreich 2002: Mit dem 0:1 gegen Debütant Senegal in Seoul begann für Zinedine Zidane und Kollegen eine Demontage, die im Vorrundenaus endete.

Damit kam in den bisherigen 20 Eröffnungsspielen neunmal der Gastgeber und achtmal der amtierende Weltmeister beim Auftakt zum Zuge. Neben den Engländern, die 1966 ihren einzigen Titel erkämpften, wurde nur Italien 1934 als Teilnehmer am Eröffnungsspiel auch Weltmeister.