Handball-Europameister Der Opa und seine Rasselbande
Krakau Wenn Jannik Kohlbacher der deutschen Handball-Nationalmannschaft einen schlagkräftigen Titel geben könnte, dann würde der wie folgt lauten: „Der Opa und seine Rasselbande.“.
Zumindest sagte das der Wetzlarer Kreisläufer am Sonntagabend kurz nach dem Gewinn der Europameisterschaft in Krakau. Mit Opa ist Carsten Lichtlein gemeint, der als einziger über 30 Jahre alt ist. 35 um genau zu sein. Dank ihres Zusammenhalts und ihrer jugendlichen Unbekümmertheit hat das deutsche Team ein Wunder vollbracht. Niemand hat im entferntesten damit gerechnet, dass das jüngste Team der EM auch das beste sein würde. Acht Spiele, sieben Siege, dazu ein grandioses 24:17 im Endspiel gegen Spanien. Hier ist das EM-Zeugnis der insgesamt 18 eingesetzten deutschen Nationalspieler.
Andreas Wolff (8 Spiele, 36 Prozent abgewehrte Bälle): Der Europameistertitel ist eng mit ihm verbunden. Seine Leistung im Finale gegen Spanien war außergewöhnlich. Der Wetzlarer hielt schon in der Vorrunde den Sieg gegen Schweden fest. Danach wurde er zur Nummer eins ernannt. Wolff sprach als Erster von der Goldmedaille. Dafür wurde er zunächst belächelt, am Ende aber für seine Zielstrebigkeit bewundert.
Finn Lemke (8 Spiele, 2 Tore): Der Turm in der deutschen Abwehr. Trotz eines schwierigen halben Jahres beim SC Magdeburg schwang sich der 2,10 Meter große Hüne zu einer Top-Leistung nach der anderen auf. Die Krönung war sein Auftritt im Finale. Weltklasse-Kreisläufer Julen Aguinagalde war regelrecht entnervt von Lemke. Im Gedächtnis bleibt aber auch sein vergebener Tempogegenstoß gegen Schweden. Danach warf er bei diesem Turnier nicht einmal mehr aufs Tor.
Tobias Reichmann (8 Spiele, 46 Tore, davon 26 Siebenmeter): Viele wussten vor der EM nicht, in welcher Form sich der ehemalige Wetzlarer befinden würde. Seine Vorbereitung war schwach. Angeblich stand er kurz davor, aus dem 16er-Kader genommen zu werden. Doch er blieb dabei. Und das war gut so. Der Linkshänder erreichte schnell Topform. Von Rechtsaußen, aber auch vom Siebenmeterpunkt. 26 seiner 29 Versuche landeten im Tor, obwohl Reichmann bei seinem Club KS Vive Kielce nie vom Punkt aus ran darf. Seine Nominierung ins All-Star-Team war folgerichtig, seine 100-Prozent-Quote gegen Norwegen (10 Treffer) genial.
Hendrik Pekeler (8 Spiele, 10 Tore): Der 24-Jährige spielte ein sensationelles Turnier. In der Defensive gab es kaum einen besseren Akteur. Wenn der Kreisläufer der Rhein-Neckar Löwen im Angriff noch zulegen würde, er wäre weltklasse. So aber ließ er vor allem im Halbfinale gegen Norwegen zu viele Chancen aus, was fast bestraft worden wäre.
Steffen Weinhold (5 Spiele, 19 Tore): Bis zu seiner Verletzung war er der Mann für die entscheidenden Situationen. Gegen Schweden und Russland erzielte der Kapitän in der Schlussphase die wichtigen Tore, ging voran und lieferte starke Vorstellungen ab. Sein EM-Aus machte ihm vom Kopf her zu schaffen. Doch er stellte sich in den Dienst der Sache und blieb als moralische Unterstützung bis zum Schluss beim Team.
Steffen Fäth (8 Spiele, 30 Tore): Der Wetzlarer bestätigte seine sehr gute Form aus der Bundesliga von Beginn an. Im Rückraum — egal ob auf der Mitte oder auf Halblinks — war er die auffälligste Figur. Fäth glänzte nicht nur mit Toren, sondern auch mit klugen Anspielen. Weltklasse war seine Leistung gegen Dänemark, zwei Tage später steckte er gegen Norwegen zwar im Tief, traf aber in der Verlängerung zum wichtigen 32:31. Der künftige Berliner, der auch in der Abwehr seinen Mann stand, könnte auf lange Sicht eine der prägenden Spieler dieser Mannschaft werden.
Kai Häfner (3 Spiele, 15 Tore): Der Schwabe lieferte eine hollywoodreife Geschichte. Bis zum Russland-Spiel saß er bei allen Partien zu Hause auf der Couch. Wegen des Weinhold-Malheurs reiste der Linkshänder nach und wurde zum Halbfinal-Helden, als er sechs Sekunden vor Ende der Verlängerung den Siegtreffer erzielte. Auch im Endspiel war der Profi der TSV Hannover-Burgdorf der stärkste deutsche Angreifer. Wenn Bundestrainer Dagur Sigurdsson rund um die EM einen Fehler gemacht hat, dann den, dass er Häfner nicht von Beginn an nominiert hatte.
Rune Dahmke (8 Spiele, 23 Tore): Bisweilen agierte der mit 22 Jahren Drittjüngste im Team enorm abgezockt. Etwa im Halbfinale gegen Norwegen, als er mit seinem Treffer die Verlängerung erzwang. Doch manchmal ließ der Kieler zu viele gute Chancen liegen. Die Statistik weist eine Quote von 59 Prozent aus. Das ist noch Luft nach oben.
Julius Kühn (3 Spiele, 7 Tore): Sprang ähnlich wie Kai Häfner nach Dissingers Verletzung in die Bresche und spielte vor allem gegen Norwegen stark. Als die deutschen Angreifer kaum noch an Torwart Ole Erevik vorbeikamen, nahm sich Kühn gleich mehrfach ein Herz und traf fünf Mal. Fabian Wiede (8 Spiele, 19 Tore): Der Linkshänder erlebte eine wahre Achterbahnfahrt. Nach dem Aus von Steffen Weinhold schlüpfte der Berliner im Hauptrundenfinale gegen Dänemark in die Rolle des Torjägers von Halbrechts. Doch sowohl gegen Norwegen als auch im Endspiel gegen Spanien agierte der 21-Jährige oftmals zu fehlerhaft. Trotzdem wird Wiede in Zukunft ein wichtiger Baustein der Nationalmannschaft sein.
Jannik Kohlbacher (8 Spiele, 9 Tore): Der Wetzlarer wurde zum Senkrechtstarter im deutschen Team. Kohlbacher reiste mit den wenigsten Bundesliga-Spielen aller im deutschen Team nach Polen, erledigte seinen Job aber glänzend. Zunächst kam er nur in Unterzahlsituationen aufs Feld, doch schon nach zwei Partien vertraute ihm Sigurdsson mehr und mehr. Und der 20-Jährige zahlte das mit Toren zurück. Besonders wichtig war sein Treffer zum 27:26 gegen Russland. Mit seinem trockenen Humor ein gerne gesehener Sprücheklopfer in der Mixed-Zone.
Erik Schmidt (8 Spiele, 13 Tore): Gegen Russland schlug seine Stunde. Der Hannoveraner traf sechs Mal. Bundestrainer Sigurdsson konnte sich auf seinen Kreisläufer stets verlassen. Er spielte in der Deckung einen souveränen Part und traf 87 Prozent seiner Würfe.
Carsten Lichtlein (8 Spiele, 23 Prozent abgewehrte Bälle): Seine beste Leistung lieferte der „Oldie“ neben dem Feld ab. Als Führungsfigur. Der Schlussmann des VfL Gummersbach hielt das Team zusammen, feuerte von der Bank aus an und war ein wichtiger Ratgeber für die jüngeren Spieler. Wenn er im Tor stand, agierte er meistens glücklos. Mit Ausnahme des Zittersieges über Russland. Da wehrte „Lütti“ in der Schlussphase wichtige Bälle ab.
Martin Strobel (8 Spiele, 4 Tore): Von der Mitte aus kann wohl keiner im Team das Spiel zu schnell machen wie er. Doch dem Balinger fehlt nach wie vor der Zug zum Tor. Bis zu den Verletzungen von Weinhold und Dissinger spielte Strobel kaum eine Rolle. Danach hatte er mehr Einsatzzeiten und glänzte in der Schlussphase gegen Spanien. Trotzdem war der 29-Jährige mehr Mitläufer als Führungsfigur.
Christian Dissinger (5 Spiele, 17 Tore): Der Kieler war der Pechvogel im deutschen Team. Zunächst schwächelte er trotz starker Vorbereitung. Als Hoffnungsträger gestartet, fand sich Dissinger recht schnell recht lange auf der Bank wieder, was auch mit einer Ellbogenverletzung zu tun hatte. Als bei ihm ausgerechnet gegen Russland der Knoten geplatzt war und er sieben Mal traf, verletzte er sich so schwer, dass das Turnier für ihn zu Ende war.
Johannes Sellin (8 Spiele, 4 Tore, davon ein Siebenmeter): Wegen der starken Leistungen von Tobias Reichmann kam der Melsunger kaum zum Einsatz. Sein wichtigstes Tor war wohl das 19:12 im Finale gegen Spanien, ein Siebenmetertreffer gegen Arpad Sterbik. Simon Ernst (8 Spiele, 1 Tor): Der Gummersbacher erlangte bei diesem Turnier vor allem Berühmtheit, weil er gegen Norwegen nach Häfners Siegtreffer zu früh aufs Feld lief, weswegen die Skandinavier zunächst Protest einlegen wollten. Der Gummersbacher hatte die mit Abstand geringste Einsatzzeit in diesem Turnier, nahm die Rolle aber klaglos an.
Niclas Pieczkowski (8 Spiele, 4 Tore): Der Mittelmann war der erste Backup auf Linksaußen. Eine Position, die er kaum gespielt hat, was deutlich zu sehen war. Pieczkowski fiel leistungsmäßig häufig ab, auch dann, wenn er auf Rückraummitte eingesetzt wurde.