„Ich kann mit Kritik leben“

Die deutsche WM-Mannschaft gibt sich schuldbewusst und entwickelt offenbar ein neues Selbstverständnis. Auch Sami Khedira.

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Sotschi. Sami Khedira spricht wieder öffentlich. Der Juve-Profi zählte neben Mesut Özil und Thomas Müller zu den heftigst kritisierten nach dem 0:1 (0:1) gegen Mexiko zum Auftakt der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland. Die Zuversicht hat das dem Weltmeister aber nicht nehmen können. „Ich hatte noch nie ein Problem damit, Kritik anzunehmen. Ich kann mit Kritik leben“, sagte Khedira zwei Tage vor dem entscheidenden Spiel gegen Schweden.

Erstmals äußerte sich Khedira, nach dem blamablen Auftaktspiel zog er es vor, zu schweigen. Riesenauflauf am Trainingsgelände in Sotschi. Dass er kein gutes Spiel gemacht habe, das wisse er selbst, unterstreicht Khedira und versucht erst gar nicht, die enttäuschende Vorstellung gegen die Mexikaner schön zu reden. „Wir haben gespielt wie die Schuljungen, viel zu fahrlässig, wir waren im Kopf nicht vorbereitet.“ Was ein wenig verwundert, zumal vor dem Spiel immer davon die Rede war, wie ernst man Mexiko nehme. Aber: „Die Mannschaft darf nicht so durch den Kakao gezogen werden, das entspricht nicht der Wahrheit“, sagte Khedira zu Spannungen im Kader. Ihn hatte gegen Mexiko vor allem gestört, dass die Mannschaftsteile nicht kooperiert hätten, es riesige Distanzen zu bewältigen gab, um den Gegner zu stellen: „Man hat es gesehen, dass manchmal 30, 40 Meter zwischen den Mannschaftsteilen waren, und dann kann man es nicht verteidigen. Dafür brauchen sie Usain Bolt oder einen Topsprinter, der das erlaufen kann.“

Khedira ist aber keiner, der sich lange mit der Vergangenheit aufhält, die er ohnehin nicht mehr ändern kann. Erste Frage an Khedira. Wie optimistisch er sei, dass die Mannschaft gegen Schweden zu ihrer Form zurückfinden wird? „100 Prozent“, sagt der 31-Jährige, ohne auch nur eine Hundertstelsekunde zu verlieren. Sie wissen alle, dass sie schlecht gespielt haben. Sagt auch Mario Gomez vom VfB Stuttgart: „Selten war die Übereinstimmung von externer und interner Kritik übereinstimmender als nach dem Mexiko-Spiel.“

Khedira verlangt ein Umdenken, dementiert aber atmosphärische Störungen: „Nach der Niederlage war die Atmosphäre angespannt, das kann ja auch keinen überraschen, die Stimmung war nicht supergut, aber nie wirklich schlecht.“ Man habe viel geredet im Team, mit dem Trainerstab, nichts sei ungesagt geblieben: „Wir haben abgesprochen, was wir gegen Schweden besser machen müssen.“

Khedira, der gegen Mexiko vorwiegend durch Proteste gegen Entscheidungen des Schiedsrichters aufgefallen war und ansonsten weit unter seinen Möglichkeiten blieb, versucht auf dem Trainingsplatz im gleißenden Sonnenlicht von Sotschi den starken Mann zu geben. „Es liegt nicht am Personal. Ob da nun zwei Spieler ausgewechselt werden oder nicht, darum geht es nicht, wir können die Probleme nur als Mannschaft beheben. Und dazu sind wir fest entschlossen. Wir müssen mehr kommunizieren, schneller umschalten.“ Und dann schließt er noch den martialischen Satz an: „Wir müssen wieder zu elf Kriegern werden.“

Khedira, der mit 20 Jahren deutscher Meister mit dem VfB Stuttgart wurde und im September danach sein erstes Länderspiel gegen Südafrika absolvierte, zählt seitdem zum Stammpersonal des Weltmeisters. 74 Länderspiele sind es seither, davon 68 in der Startformation. Khedira spielt bereits sein drittes Endrunden-Turnier, auch bei den Europameisterschaften 2012 und 2016 zählte er zum Kader. Aus dem defensiven Mittelfeld ist der Mann kaum wegzudenken.

Und: Bundestrainer Joachim Löw ist weiter zu hundert Prozent von Khedira überzeugt. Und dennoch merkt man Khedira die Jahre an. Ständig zwischen den Räumen zu wechseln, fällt zusehends schwerer nach über einem Jahrzehnt im Profigeschäft. Bei Juventus Turin schätzt man vor allem seine Defensivqualitäten, sein Radius in der Serie A ist nicht so groß wie der in der Nationalmannschaft. Nicht von ungefähr will Juventus Turin Khediras bis 2019 laufenden Vertrag vorzeitig verlängern, berichtete die Gazzetta dello Sport. Der Profi, der 2015 von Real Madrid nach Turin gewechselt war, ist ein Lieblingsspieler von Trainer Massimiliano Allegri. Gegen Schweden wird der Weltmeister aber vor allem die Offensive verbessern müssen. Sagt auch der stets kritische Mats Hummels. „Unsere Überzeugung nimmt zu, die Dinge gegen Schweden in die richtigen Bahnen lenken zu können. Wir müssen mehr Torgefahr ausstrahlen. Zu Panik besteht überhaupt kein Grund, aber unsere Angreifer müssen auch in den Strafraum des Gegners, gegen Mexiko waren wir viel zu selten im torgefährlichen Raum.“ Auch Khedira verlangt mehr Offensivkraft, „ohne allerdings die Defensive zu vernachlässigen“. Und geht selbstverständlich davon aus, auch gegen Schweden in der Startelf zu stehen.