Dauermisere: Deutsche Läufer keine WM-Renner mehr

Daegu (dpa) - Sprinter wie Ingo Schultz hat die deutsche Leichtathletik schon lange nicht mehr. Und bei den Langstrecklern fehlen bei dieser WM Läufer wie Dieter Baumann. „Viele europäische Nationen haben eine ähnliche Problematik“, sagt Idriss Gonschinska, der neue Bundestrainer „Track“ beim DLV.

Der Renner sind die deutschen Leichtathleten nicht gerade. Früher ging da echt mehr, doch viel laufen wird bei der WM in Daegu wohl nicht: Die letzte Sprint-Weltmeisterin war 1991 Katrin Krabbe, die später des Medikamentenmissbrauchs überführt wurde. Den einzigen internationalen Freiluft-Titel auf den Mittel- und Langstrecken in diesem Jahrtausend holte Nils Schumann 2000 in Sydney mit Olympia-Gold.

Idriss Gonschinska verspricht: „Wir haben eine sehr junge Gruppe hier. Die werden wachsen an dieser Meisterschaft und in den nächsten Jahren. Aber man kann natürlich kein Wunder erwarten.“ Ingo Schultz gewann 2001 in Edmonton/Kanada Sensations-Silber über 400 Meter und ist damit der bisher letzte, der eine Einzel-Medaille im Sprint holte.

„Ich war selber erschrocken, als ich in die Nominierungslisten gesehen habe: Da war ja fast gähnende Leere im Sprint“, sagt Schultz. Für die Flaute hat der 36-Jährige gleich mehrere Erklärungen. Die anderen Nationen holen vor allem im Laufbereich ständig auf, weniger in den technisch anspruchsvollen Wurfdisziplinen. „Was braucht man denn zum Sprinten? Talent und nicht mal 'ne Tartanbahn.“ Athleten im bevölkerungsreichen Asien, wo die Konkurrenz weitaus größer ist, seien oft viel stärker motiviert. „Bei uns fehlt häufig die Bereitschaft, sich für Topleistungen aufzuopfern“, sagt Schultz, der damals bei seinem WM-Coup „eine Menge Glück und viel Talent“ hatte.

Wenn man die 20-köpfige Staffeldelegation für die 4 x 100 und 4 x 400 Meter der Männer und Frauen abzieht, dann sind - ohne Geher - gerade mal elf Deutsche zwischen 100 Meter und Marathon am Start. Eine Misere, die seit Jahren anhält. Überhaupt keine Läufer hat der DLV über 800, 5000, 10 000 Meter und im Klassiker über 42,195 Kilometer im Rennen. Die dreifache London-Siegerin Irina Mikitenko und Sabrina Mockenhaupt konzentrieren sich auf die lukrativen Herbst-Marathons.

Die Sprinter hatten sich nicht nur hinter vorgehaltener Hand und manchmal auch nicht zu Unrecht über die Doping-Mentalität der Asse vor allem aus den USA und der Karibik beklagt. Doch Gonschinska will davon nichts hören: „Ich möchte das in keiner Weise als Begründung aufgreifen, das bringt nichts. Wir müssen schauen, wie wir besser werden können.“ Der Bundestrainer setzt auf Perfektionismus: wissenschaftliche Begleitung, Mentaltrainer, Ernährungsberater, bessere Trainingsmethodik und Streckenvielfalt.

Pech für den DLV: 100-Meter-Europameisterin Verena Sailer und die EM-Dritte im Hürdensprint, Carolin Nytra, fehlen in Südkorea wegen Verletzungen. Doch Sailer würde selbst mit ihrer Siegzeit von Barcelona (11,10 Sekunden) derzeit nicht in den Top 20 der Weltbestenliste liegen. Die Mannheimerin hatte mit den 4 x 100-Meter-Frauen 2009 in Berlin überraschend WM-Bronze geholt. Die Staffeln, hofft Gonschinska, „sind ein Projekt, das helfen wird, den Sprintbereich nach vorne zu bringen“. Das Ziel sei, bei Olympia 2012 in London alle vier Quartette ins Finale zu bringen.

Im Laufbereich hecheln nicht nur die Deutschen immer wieder den übermächtigen Afrikanern hinterher. Seit 2007 erreichte bei WM oder Sommerspielen eine einzige Deutsche auf den Mittel- und Langstrecken den Endlauf: Hindernisspezialistin Antje Möldner 2009 in Berlin. Auf europäischer Ebene läuft da schon viel mehr: So holte der Berliner Carsten Schlangen im vergangenen Jahr EM-Silber über 1500 Meter.

„Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft“, sagte einmal der legendäre Emil Zatopek. Und der Mensch läuft überall auf der Welt, zur Not barfuß. „Es gibt im Sport keinen Bereich, in dem der internationale Wettbewerbsdruck so groß ist wie auf den Laufstrecken von 800 Meter bis zum Marathon“, sagt DLV-Vizepräsident Günther Lohre.