Sturm gegen Marathon-Rekordlisten: „Rückschritt“
Berlin (dpa) - Weltrekord! Nein, zählt nicht. Würde Paula Radcliffe ihre großartige Bestzeit von 2:15:25 Stunden im kommenden Jahr bei einem der weltbekannten Städte-Marathons unterbieten, wäre das nur eine Weltbestleistung.
Denn Weltrekorde im Straßenlauf will der Leichtathletik-Weltverband IAAF vom 1. Januar 2012 an nur noch in „reinen“ Frauenrennen anerkennen. Diese „Geschlechtertrennung“, die Einführung von zwei Rekordlisten im Frauen-Marathon, ist bei den großen Veranstaltern auf Unverständnis und Ablehnung gestoßen. Sie wollen die neue Regelung ignorieren.
„Die Unterscheidung zwischen Zeiten, die in gemischten Rennen und reinen Frauenrennen erzielt wurden, ist geradezu anachronistisch und unserer Meinung nach ein Rückschritt für den Straßenlauf“, sagte Thomas Steffens, Sprecher des Berlin-Marathons, der Nachrichtenagentur dpa. „Man wundert sich schon, mit welchen Themen sich die IAAF beschäftigt. Als gäbe es nichts Wichtigeres.“
Der 58-Jährige kritisierte: „Da wartet der Verband bis dieses Jahr und führt endlich ein Blutprofil ein, um den Kampf gegen Doping etwas glaubwürdiger zu gestalten - lange nach den Schwimmern und Skilangläufern. Und dann überlegt man sich, wie man die Marathon-Statistik verkompliziert.“
Die IAAF wird vom 1. Januar 2012 an getrennte Listen führen, das wurde vom Council und Kongress bei der WM in Daegu abgesegnet: Weltrekorde künftig nur noch für reine Frauenrennen, Weltbestleistungen für die üblichen „gemischten“ Marathon-Läufe. Dagegen haben die World Marathon Majors (WMM), die fünf großen Städtemarathons, und die AIMS, die weltweit mehr als 300 Straßenläufe repräsentiert, vor dem 38. Berlin-Marathon nun heftig protestiert.
Nach der neuen Regelung der IAAF wird der Frauen-Weltrekord der Britin Paula Radcliffe dann nicht mehr bei 2:15:25 Stunden (London 2003) stehen, sondern bei 2:17:42, aufgestellt von Radcliffe 2005 ebenfalls in London. „Ich finde das sehr, sehr schade und absolut inakzeptabel, dass ein Weltrekord erst anerkannt und dann nach acht Jahren praktisch wieder abgeschafft wird“, meinte die deutsche Rekordhalterin Irina Mikitenko.
„Paula hat schließlich ihren Job gemacht.“ Man müsse auch bedenken, dass es kaum reine Frauenrennen gibt. „Dann können nur noch in London, bei WM, EM und Olympia Weltrekorde aufgestellt werden“, gab die zweimalige London-Siegerin Mikitenko zu bedenken, die ihren deutschen Rekord (2:19:19) 2008 in Berlin gerannt war. Außerdem: „Was ist dann bei den Männern? Die laufen doch auch mit Tempomachern.“
Die Einführung offizieller Weltrekorde in Straßenrennen sei 2003 eine gute Entscheidung gewesen. Deshalb sperren sich WMM und AIMS nun gegen die Neuerung und „werden weiterhin die bisherige Regelung anerkennen“, hieß es in einer gemeinsamen Presseerklärung. Frauen-Weltrekorde auf den klassischen 42,195 Kilometern könnten von 2012 an praktisch nur noch bei Welt- und Europameisterschaften sowie bei Olympischen Spielen aufgestellt werden.
„Gemischte“ Städtemarathons wie in New York, Boston, Berlin, London oder Chicago haben eine jahrzehntelange Tradition. Dass Frauen bei diesen Läufen vor Millionen-Publikum künftig keine Weltrekorde mehr laufen dürfen, hält Steffens für „widersinnig“. Eine Veranstaltung, die unbedingt einen Weltrekord „produzieren“ will, müsste das Frauenrennen abtrennen. Dies werde aber keiner der großen Marathon-Läufe machen. Fraglich ist zudem, ob die „Startlücke“ zwischen Männern und Frauen so vergrößert werden kann, dass die Rennen dann nicht mehr als „gemischt“ eingestuft werden.
Die IAAF respektiert den Standpunkt von AIMS und WMM, teilte Sprecher Nick Davies auf dpa-Anfrage mit. „Es liegt nun an AIMS und WMM, geeignete Kanäle zu nutzen, um die Entscheidungsträger der IAAF zu überzeugen, falls sie diese Regel wieder geändert haben wollen.“