Luhmühlen trauert um Benjamin Winter
Luhmühlen (dpa) - Die Flaggen rund um das Springstadion in Luhmühlen hingen auf halbmast. Reiter standen schweigend in der Arena in der Lüneburger Heide, auch auf den voll besetzten Tribünen war kaum ein Laut zu hören.
In einer ergreifenden Zeremonie gedachten Kollegen und Zuschauer am Sonntag des am Tag zuvor tödlich verunglückten Benjamin Winter. Auf der Videoleinwand war ein großes Porträt des 25-Jährigen zu sehen - lachend, so wie ihn alle kannten und mochten. „Es ist ein trauriger Moment. Er war ein Mensch mit einer unglaublich positiven Lebenseinstellung“, würdigte der deutsche Reiter-Präsident Breido Graf zu Rantzau das Ausnahmetalent.
Winters tödlicher Sturz mit seinem Pferd Ispo im Geländeritt hat die Vielseitigkeitsreiterei tief schockiert und verunsichert. Auch einen Tag nach dem Unglück herrschte Fassungs- und Ratlosigkeit. „Für das, was alle Beteiligten fühlen, gibt es keine Worte. Ben war ein großartiger Mensch und toller Sportler. Er hatte noch eine große sportliche Zukunft vor sich“, meinte DOKR-Geschäftsführer Dennis Peiler. „Es ist noch nicht bei mir angekommen“, meinte der sichtlich erschütterte Bundestrainer Hans Melzer.
Trotz des Todesfalls hatten sich die Reiter gemeinsam mit den Veranstaltern und in Absprache mit Winters Familie noch am Samstagabend für eine Fortsetzung des Turniers mit den Springen des Sonntags ausgesprochen. Auf Siegerehrungen mit Hymnen und die Vergabe des deutschen Meistertitels wurde verzichtet.
Ohnehin interessierte es kaum noch jemand, dass der Australier Andrew Hoy mit Cheeky Calimbo die Drei-Sterne-Prüfung vor Ingrid Klimke aus Münster mit Escada gewann und Doppel-Olympiasieger Michael Jung aus Horb den Sieg im Vier-Sterne-Wettbewerb auf Rocana nach einem Abwurf knapp verpasste. Erster wurde der Neuseeländer Tim Price auf Wesko.
Eine Fortsetzung wäre auch im Sinne ihres Sohnes gewesen, betonte Sybille Winter: „Seine größte Sorge wäre vielmehr, dass sein Unfall dazu führen könnte, dass sein Sport in der Öffentlichkeit schlecht geredet wird. Bitte respektieren Sie diesen Wunsch meines Sohnes.“
Doch um diese Diskussionen über Sinn und Sicherheit wird der pferdesportliche Dreikampf nicht herumkommen, wie nach dem Tod von Tina Richter-Vietor 2007 in Schenefeld. Das weiß auch Peiler. „Jetzt ist es aber noch zu früh, um sich mit einer Analyse zu befassen“, betonte der Chef des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei. „Wir werden uns damit auseinandersetzen“, versprach auch Melzer.
Die Unfallanalyse wird schwerfallen. Denn in Winter verunglückte ein Klasse-Reiter, der trotz seiner jungen Jahre erfahren war. Er galt als Versprechen auf die Zukunft, hatte in Wild Thing und Ispo zwei herausragende Pferde, war im Championatskader und wollte sich mit seinem Auftritt in Luhmühlen für die Weltreiterspiele im August/September in der Normandie empfehlen.
„Wir hatten beste Bedingungen, alles war perfekt. Er war ein toller Reiter und hatte ein tolles Pferd“, sagte Melzer. Und dennoch geschah es. Melzer: „Alles, was er da gemacht hat, bleibt unklar. Das war nicht seine Art zu reiten.“ Auf der 6500 Meter langen anspruchsvollen Strecke der Vier-Sterne-Prüfung war Winter mit dem zehn Jahre alten Wallach Ispo an Hindernis 20 gestürzt.
Das Pferd stand ohne größere Blessuren wieder auf, Winter blieb schwer verletzt liegen. Er wurde sofort in die Unfallklinik nach Boberg im Osten Hamburgs gebracht, doch konnte ihm nicht mehr geholfen werden. Die leitende Notärztin Annette Lorey-Tews ging von einem Schädel-Hirn-Trauma bei Winter aus. Auch eine Halswirbel-Verletzung sei nicht auszuschließen. Winter soll beim Sturz aber nicht mit seinem Pferd in Berührung gekommen sein
„Die Strecke war leichter als im vergangenen Jahr“, betonte der Brite Mark Phillips, der seit Jahren die Strecken in Luhmühlen baut. „Doch jeder Sturz ist ein Sturz zu viel.“ Das mächtige Hindernis, an dem Winter scheiterte, war im letzten Drittel der Strecke und galt als relativ leicht. Es gehört seit sechs Jahren zum Parcours.
„Wir werden den Unfall genau analysieren“, sagte Mitveranstalter Michael Spethmann, „aber unser Sport ist nicht ohne Risiko, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen.“ Vor allem seit der Jahrtausendwende wurde viel in Sachen Sicherheit getan. Dennoch starben immer wieder Pferde und Reiter. Den letzten Toten in Luhmühlen gab es 1982, als der Schweizer Ernst Baumann bei der WM starb.
Was Winter konnte, hatte er kurz vor dem Unglück auf seinem erfahrenen 16 Jahre alten Wild Thing gezeigt. Auf dem Wallach absolvierte der Sportsoldat den Geländeritt souverän ohne Fehler. „Er hatte sich so sehr darüber gefreut“, meinte Co-Bundestrainer Christopher Bartle.
Die Geländeprüfung in der Lüneburger Heide war am Samstag schon vor dem Unfall von Winter von etlichen Zwischenfällen überschattet. Die Britin Georgie Spence zog sich beim Sturz mit ihrem Pferd Limbo einen Schlüsselbeinbruch zu. Das Pferd Liberal des Briten Tom Crisp starb nach einem Aorta-Abriss, eine der häufigsten Todesursachen bei Pferden auch außerhalb des Sports. In England gab es am Samstag noch einen weiteren tödlichen Zwischenfall. Der Kanadier Jordan McDonald starb beim Geländeritt in Somerset.