Wieso uns Michael Schumachers Schicksal packt
Am Freitag hatte Michael Schumacher seinen 45. Geburtstag. Die Welle der Anteilnahme ist gewaltig. Und sie nimmt nicht ab.
Düsseldorf. Am Freitag hatte Michael Schumacher seinen Geburtstag. 45 Jahre alt ist er geworden, aber er wird sich an diesen 45. Geburtstag nie erinnern können, wie immer diese Geschichte auch ausgehen mag. Michael Schumacher liegt nach seinem schweren Ski-Unfall nach wie vor im künstlichen Koma. Stabil ist die Situation, sagen sie. Aber weiter auch: kritisch. Das war Mittwoch.
Wieder haben sie ihn alle besucht. Seine Frau Corinna, sein Vater Rolf, der ihn auf der eigenen Kartbahn in Kerpen groß gemacht hat. Und sein Bruder Ralf, den Michael, der ältere, einst auf den Rennstrecken dieser Formel-1-Welt bekämpft hat.
Es gab Zeiten, in denen die Brüder Michael und Ralf kein Wort mehr miteinander gesprochen haben. Und wenn man ganz ehrlich ist, dann hat sich Ralf da nur eingereiht in eine Reihe von Kollegen der Branche, weil für Schumacher die Kollegen eigentlich immer nur eines waren: Feinde, die es im Renn-Overall zu besiegen galt. Sieben Mal ist er Weltmeister geworden, in 91 Rennen hat er alle hinter sich gelassen. Immer und immer wieder. Er galt als gefühlskalte Rennmaschine, die wenig für die Kollegen, aber alles für den Sieg getan hat. Wer auch immer Sympathie für den Deutschen empfinden wollte, musste sich Mühe geben. Selbst Ferrari-Fans war sein kompromissloser Siegeifer bisweilen unheimlich. Sie verehrten ihn, weil er Ferrari den Ruhm zurückgebracht hat. Aber erst jetzt, in den Tagen von Grenoble, fangen sie an, ihn zu lieben.
Warum eigentlich? Warum fühlen wir uns dem Schicksal Schumachers derart verbunden? Warum kennen wir seine Ärzte, wissen, wer wann an Schumachers Bett sitzt, erfahren, wer besucht oder twittert, sehen, dass Ferrari-Fans in Bussen zum Krankenhaus fahren, dass Kerzen in Schumachers Heimatort Kerpen aufgestellt werden.
Drinnen kämpft Schumacher um sein Leben, draußen die Welt irgendwie mit. Schumacher ist früher gleichsam durch das Wohnzimmer gerauscht, er war der Erste dieser Klasse in Deutschland. Und wer der Erste ist, der erntet den Hype, den Ruhm. Der wird Familienmitglied. Bei allen, die das zulassen. Wird ein Weltstar, wie es sie in Deutschland nur wenige gibt.
Und jetzt hat er offenbar alle Eigenschaften in einem Moment verloren: Fitness, totale Kontrolle, Strahlkraft und Unbesiegbarkeit. Eigenschaften, für die Schumacher alle respektiert haben. Aber die augenscheinlich echte Zuneigung entsteht in dem Moment, in dem dieses vermeintliche Gut verloren gegangen ist. Der Held hat seine Schutzhülle verloren, die er zuvor allenfalls abseits der Strecke abgelegt hat. Als er im Familienleben frei von Skandalen aufging. Dieses Bild der Wärme ersetzt nun jenes kalte von den Rennstrecken. Niemals konnte das auch der ganze Schumacher gewesen sein, aber er wollte das so: Die „Trennung von Pilot und Person“, wie der Tagesspiegel schrieb. Wie eine zweite Haut, sagte seine Managerin Sabine Kehm.
„Der Unfall hat Michael mit dem Rest von uns auf menschlicher Ebene ein für alle Mal verbunden“, schrieb David Coulthard, sein Konkurrent von einst, in einer englischen Zeitung. Schumacher und Coulthard hätten sich fast einmal geprügelt, es war 1998 in Spa, als der Champion sich auf der Rennstrecke bedrängt gesehen hatte.
Am Freitag erinnerte die Auffahrt zum Krankenhaus in Grenoble an Szenen von einer Rennstrecke: Rote Fahnen, Ferrari-Banner, Plakate. Hunderte Fans waren gekommen. Aber ein Rennen ist das hier nicht mehr. Kein Gegner weit und breit. Nur noch ein Mensch.