Alltag nach dem Hochwasser: „Alle helfen zam“

Simbach am Inn/Triftern/Braunsbach (dpa) - In Süddeutschland beseitigen die Menschen nach den heftigen Unwettern die Spuren der Verwüstung. Viele Bewohner sind nach dem Hochwasser fassungslos, das Ausmaß der Katastrophe ist mancherorts schwer einzuschätzen.

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SIMBACH AM INN:

Das Dröhnen der Rettungshubschrauber und das Heulen der Sirenen sind verstummt, stattdessen brummen Wasserpumpen. Die Helfer räumen am Morgen fort, was die Flut durch die Innenstadt von Simbach am Inn gespült hat: Bäume, Steine, Autos, Hausrat, Schutt und jede Menge Schlamm. Noch in der Nacht waren erschöpfte Feuerwehrleute und Polizisten durch den Ort gelaufen; ihre Taschen- und Stirnlampen warfen kurze Streiflichter auf das Bild der Verwüstung links und rechts von ihnen: Zerborstene Schaufenster, völlig zerstörte Geschäftsräume.

Die Menschen in dem einst beschaulichen Ort Simbach am Inn sind fassungslos. „Krieg“, sagt einer. „Wie im Krieg sieht das aus.“ Autos liegen auf ihren Dächern, Straßenlaternen sind umgeknickt wie Strohhalme, Läden und Wohnhäuser sind nur noch Trümmer.

Schon am Mittwochabend war klar: Das Wasser hat nicht nur Existenzen zerstört, sondern auch Menschenleben mitgerissen. In einem Erdgeschoss wurden drei tote Frauen - Tochter, Mutter und Oma - gefunden. Kurz darauf wurde eine Frau tot in einem Bach bei Julbach entdeckt. Rettungskräfte bargen am Donnerstag einen 75 Jahre alten Mann, den Angehörige als vermisst gemeldet hatten.

„Was in fünf Jahren aufgebaut ist, ist in fünf Minuten weg“, sagt Muhammed Fidanci. Dem 25-Jährigen gehört ein Kebab-Stand. „Ich bin nur rausgerannt, als das Wasser kam“, berichtet er. Innerhalb von zehn Minuten stand das Wasser zwei Meter hoch, und es hat eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Fidanci muss alle Geräte wegschmeißen - fünf Kühlschränke, eine Kebab-Maschine, den Pizzaofen.

Pizza wird es auch gegenüber, im Restaurant „O Sole Mio“, bis auf weiteres nicht geben. Die Scheiben sind zerborsten, die Bänke und Tische umgefallen, Weinflaschen stecken im Schlamm fest. „Das Wasser stand zweieinhalb Meter hoch“, sagt Restaurantbesitzer Carmelo Giandinoto. 30 Jahre habe er den Laden schon. „Scheiße ist das. Da muss ich wieder von vorne anfangen.“

Ein paar Meter weiter sollte in wenigen Tagen die neue Turnhalle der Realschule eröffnet werden. In den Geruch von frischem Holz mischt sich der nach Schlamm und Öl, der den ganzen Ort überzieht wie ein schmieriger Film. Die Heizöltanks der Häuser sind ausgelaufen.

In Teilen der Stadt wurde das Wasser abgestellt, auch Strom gibt es nicht überall. Unter einer Unterführung liegt ein Glas Marmelade im Schlamm. Es ist halbvoll.

TRIFTERN:

Die Menschen in Triftern können es immer noch nicht fassen: Das Hochwasser, das am Mittwoch durch den Ort im Landkreis Rottal-Inn gerauscht ist, hat Dutzende Häuser verwüstet, Autos zerstört, Existenzen fortgespült. Einen Tag nach der Katastrophe packen die Anwohner an. Mit Schaufeln, Eimern und Schubkarren beseitigen sie den Schlamm, den das Wasser zurückgelassen hat. Die Feuerwehr pumpt Keller aus, ein Reinigungsfahrzeug fährt durch die Straßen. In all dem Chaos ist aber Aufbruchstimmung zu spüren.

Aus den Häusern entlang des Altbaches schleppen die Anwohner Sofas, Regale, Sessel, Stühle. Alles kaputt. Binnen Minuten war der Bach zu einem reißenden Strom angeschwollen. In den Häusern reichte das Wasser beinahe bis in die ersten Etagen.

Im Schlamm auf den Straßen stecken Schuhe, Milchtüten, Blechdosen, Spielkarten, Plastikflaschen und eine Kinderrutsche. Beißender Ölgeruch liegt über dem Dorf und vermischt sich mit dem modrigen Geruch nassen Holzes. Die Sonne kämpft sich durch die Wolkendecke. Die Luft ist dampfig-feucht.

Hildegard Hitzlinger stehen die Tränen in den Augen. Mit Gummilatschen an den Füßen steht sie buchstäblich vor den Trümmern ihrer Existenz. Gemeinsam mit ihrem Mann wirft sie ihr Hab und Gut vor die Tür. Kleidung, Nähmaschinen, Möbel. Freunde packen mit an und schleppen eimerweise Schlamm nach draußen. „Das Wasser zerstört alles“, sagt sie. „Es zerstört ein Leben.“

„Es ist unvorstellbar“, sagt Erwin Wimmer und blickt auf die verwüstete Straße entlang des Bachlaufes. Der 72 Jahre alte Feuerwehrmann hat bis Mitternacht bei den Arbeiten geholfen. „Da sind Autos rumgeschwommen. Wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, kann man es nicht glauben.“ Zum Glück sei niemand verletzt worden. Jetzt packt jeder mit an: „Alle helfen zam.“

BRAUNSBACH:

Der Keller in dem Einfamilienhaus ist noch voller Schlamm, die Wände sind braun, der Boden ist noch feucht, es riecht modrig. Der Sachverständige Alexander Timper-Jansen und der Schadensregulierer Harald Dittes tragen Gummistiefel und Schutzhelme. Seit zwei Stunden sind sie in dem verwüsteten Ort Braunsbach unterwegs - es ist bereits ihr sechster Kunde heute.

Während die Bewohner immer noch Schlamm und Schutt aus ihren Häusern schippen, ziehen die Schadensregulierer mit unabhängigen Sachverständigen von Haus zu Haus in dem kleinen Ort im Kreis Schwäbisch Hall in Baden-Württemberg. Eine Schutt- und Gerölllawine hat Braunsbach in der Nacht zum Montag in ein Schlachtfeld verwandelt.

Timper-Jansen steht in einem Keller. Das Haus wurde erst 2010 saniert. Nun hat der Schlamm den Flur, den Heizungsraum und mehrere Räume im Erdgeschoss zerstört. „Die Garage ist so schlimm, da komm ich noch gar nicht rein“, sagt Kochendörfer.

Timper-Jansen blickt auf eine alte Heizung und runzelt die Stirn. „Die Kontakte sind hinüber, die Dämmung kaputt“, sagt er. „5000 Euro.“ Dann wirft er einen raschen Blick in den angrenzenden Flur. „Reinigungsarbeiten - 2000 Euro.“ An die Wand. „Malerarbeiten 2000 Euro.“ Er schreibt in seine grüne Mappe und blickt zu Kochendörfer. „Und noch 2000 für die Türen?“ Viele Häuser im Ort sind aber auch einsturzgefährdet.

Bei den Besuchen in Braunsbach geht es aber nicht nur ums Geld: „Es geht uns darum, den Leuten ein Gesicht zu geben“, sagt Hartmut Schuster, Abteilungsleiter bei der Sparkassenversicherung. Manche Kunden seien sehr bescheiden, unterschätzten die Kosten. Insbesondere im ländlichen Bereich wollten die Leute zudem viel selbst reparieren.