Analyse: Benedikt geht seinen Weg zur Glaubensrettung
Berlin/Freiburg (dpa) - Jubelnde Gläubige, große Gesten, stimmungsvolle Gottesdienste: Papst Benedikt XVI. hat bei seinem ersten Staatsbesuch in Deutschland die positiven Bilder geliefert, die sich die katholische Kirche so sehr erhofft hat.
Doch der Zauber des Augenblicks wird schnell der Ernüchterung weichen: Denn zu den drängenden Zukunftsfragen, die viele Katholiken in seinem Heimatland umtreiben, hat der 84-jährige Pontifex nicht die erhofften Antworten gegeben. Er hat eine ganz andere Vision.
Die Wünsche nach mehr Ökumene, nach Verbesserungen etwa für wiederverheiratete Geschiedene, nach Impulsen wider den Priestermangel, nach mehr Verantwortung für Laien bleiben unerfüllt. Stattdessen beharrt der Papst - ganz der konservative Bewahrer - auf der Treue zu Rom, tritt gegen die „Verdünnung des Glaubens“ an. Er zeichnet das Bild eine neuen katholischen Kirche, „entweltlicht, abgekoppelt von Staat und politischen Privilegien.
Zurück bleiben viele ratlose Gläubige und eine Kirche ohne klare Perspektive, wie der Weg aus der tiefsten Krise ihrer jüngeren Geschichte herausführt. Es fremdelt zwischen dem deutschen Papst und so vielen seiner Landsleute, für die er einfach weltabgewandt ist.
Den gerade in Deutschland sehr ausgeprägten Wunsch nach Reformen in seiner Kirche, den Bundespräsident Christian Wulff bei der Begrüßung noch einmal unterstrich, die Rufe nach Aufhebung des Pflichtzölibats, nach Frauenordination, nach mehr Möglichkeiten für Laien, mitzuwirken, ließ er an sich abprallen.
Benedikt beharrt auf dem, was er für richtig hält: Seine Kirche in gottfernen Zeiten zu stärken, den Glauben jetzt als Rettungsanker seiner Neuevangelisierung auszuwerfen. Er nennt das „die drückende Abwesenheit Gottes in unserer Gesellschaft“. Um das noch ändern zu können, braucht es keine „lauen Christen“ und keine überbordenden Strukturen in seiner Kirche.
Es bedarf vielmehr einer radikalen Umorientierung: „Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben.“
Die wohl größte, wenn nicht sogar historische Chance auf ein neues Miteinander der Christenheit ließ Benedikt bei der ökumenischen Begegnung in Erfurt verstreichen. Auf historischem Boden im Augustinerkloster, auf dem der spätere Reformator Martin Luther vor 500 Jahren als Mönch wandelte, traf er die Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) - und fegte den Wunsch nach neuen Impulsen für mehr Ökumene schroff als „Missverständnis“ zurück.
„Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken und aushandeln“, gab er den protestantischen Glaubensbrüdern, die er nach wie vor in einer Religionsgemeinschaft und keinesfalls in einer Kirche wähnt, mit auf den Weg. Und fügte einen Tag später hinzu, dass er in Sachen Ökumene auf die orthodoxe Kirche als Partner setzt. Eine gemeinsame Kommunion von Katholiken und Protestanten bleibt untersagt.
Immerhin habe sich der Papst positiv zu Luther geäußert, stellte der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider nach der „geschwisterlichen Begegnung“ positiv heraus. Für eine Einladung an den Pontifex zum Reformationsjubiläum 2017 freilich sei es „noch zu früh“. Ein ausdrückliches päpstliches Engagement für das Jubiläumsjahr hätte Kritikern wohl den meisten Wind aus den Segeln genommen.
Vier prallvolle Tage für den 84-Jährigen, viel Zuspruch für seine intellektuelle Rede im Bundestag: Professoral, einer Vorlesung gleich nahm er die Politiker in Gebet. Dann die spirituellen Höhepunkte, hunderttausende Gläubige jubelten dem Papst bei hochemotionalen, perfekt inszenierten Gottesdiensten zu, Fähnchen wedelnd, Kerzen haltend, beseelt vom Glücks- und Gemeinschaftsgefühl, aller Alltagsprobleme für ein, zwei Stunden entrückt.
Benedikt selbst macht eine „bella figura“, ist erstaunlich fit, fühlte sich trotz aller Anstrengung sichtlich wohl, lächelte. Nein, der volksnahe Medienpapst wie sein Vorgänger Johannes Paul II. ist er sicher nicht. Aber er herzt kleine Kinder, segnet sie im Papamobil. Er feuert die Jugend an, das „Licht der Welt“, die Erneuerung und Umkehr als „glühende Heilige“ voranzutreiben. Und ist mitunter sogar zum Scherzen aufgelegt.
Joseph Ratzinger besuchte sechs Jahre nach der kollektiven „Wir-sind-Papst“-Euphorie bei seiner Wahl 2005, nach zwei pastoralen Visiten und nach dem Missbrauchsskandal 2010 seine Heimat. Zurück lässt er eine hoffende, aber mindestens genauso eine zweifelnde Kirche. Er kam mit einer Botschaft, seiner Botschaft, die viele doch nicht verstehen konnten. Ein Spaziergang konnte es nicht werden, das wusste er. Und doch ging er seinen Weg.