Analyse: Die Gefahr durch radioaktive Stoffe
Berlin (dpa) - Welche gesundheitlichen Gefahren drohen den Menschen in dem Katastrophengebiet von Japan? Welche Überlebenschancen haben die verbliebenen Menschen direkt in den Atomanlagen? Wissenschaftler wollen und können sich nicht detailliert dazu äußern - die Informationslage ist noch zu diffus.
Aber welche radioaktive Stoffe generell wie im Körper wirken, das ist aus vergangenen Katastrophen wie Tschernobyl nur zu gut bekannt. Eine Gefahr für die Menschen in Japan kann nach Angaben des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) etwa radioaktives Jod sein. Es hat eine relativ kurze Halbwertszeit von bis zu acht Tagen - das ist die Zeit, in der durch Zerfall der Stoffe die Hälfte der Radioaktivität abklingt.
Gegen diese Bedrohung gibt es einen guten Schutz: Jod-Tabletten. Die nichtradioaktiven Präparate können die Anreicherung des radioaktiven Jods aus der Luft oder Nahrungsmitteln in der Schilddrüse verhindern - und damit auch Schilddrüsenkrebs.
Sollten Jod-Tabletten hierzulande eingenommen werden? Nein!, sagt der Bundesverband Deutscher Apothekerverbände. Das bringe nur etwas, „wenn es eine radioaktive Wolke direkt über Deutschland geben sollte“ - und das ist nicht der Fall. Wer hierzulande auf eigene Faust Jod-Tabletten nehme, erhöhe sein Risiko für Schilddrüsenerkrankungen.
Cäsium-Radionuklide mit einer Halbwertszeit von bis zu 30 Jahren sind ebenfalls gefährlich. „Hier gibt es keine Möglichkeit, die Strahlenbelastung durch Verabreichen von Medikamenten oder andere Maßnahmen abzumildern“, so das BfS. „Es gelangt in die Zellen und ist dort an Prozessen zwischen dem Zellinneren und der Zellumgebung beteiligt, die grundsätzlich in allen Körperzellen stattfinden, besonders aber in Muskel- und Nervenzellen.“ Nach Angaben von Angelika Claußen von der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) kann radioaktives Cäsium unter anderem Krebs sowie Fehl- und Totgeburten verursachen.
Besonders bedrohlich wäre es für die Bevölkerung in Japan, wenn sie mit radioaktivem Strontium und Plutonium in Kontakt kommen sollte. „Strontium ist ein Knochenkiller“, sagt Claußen. Es schädige das Knochenmark und könne Leukämie (Blutkrebs) auslösen. Das extrem langlebige Plutonium könne schon in winzigsten Mengen die Gesundheit schädigen und ebenfalls zu Krebs führen. Plutonium lagert sich gewöhnlich an Staubpartikel an und kann somit auch eingeatmet werden.
„Der wirkliche Schutz vor allen radioaktiven Stoffen ist, wegzugehen“, betont Claußen. Dies gelte besonders für Schwangere und kleine Kinder. „Je jünger ein Mensch ist, umso strahlenempfindlicher ist sein Körper.“ Stark gefährdet seien natürlich auch die Menschen, die sich noch im Atomkraftwerk Fukushima aufhalten.
Diese Retter haben nach Einschätzung des Nuklearmediziners Andreas Bockisch ein erhöhtes Krebsrisiko. „Das bedeutet aber nicht, dass sie jetzt oder in einem Jahr an Krebs sterben, aber möglicherweise bekommen sie in fünf oder in zehn Jahren Krebs“, sagte Bockisch, der die Klinik für Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Essen leitet. Selbst wenn die Arbeiter erste Anzeichen einer akuten Strahlenkrankheit zeigten, etwa in Form von Grippe-Anzeichen, würden sie dies zunächst nicht merken. „Die Retter sind mehr mit der Hitze, der Angst und der extremen körperlichen Arbeit beschäftigt“, sagte der Experte. „Mir tun diese armen Schweine leid.“