Report: Atom-Zentrale in Köln arbeitet auf Hochtouren

Köln (dpa) - Im deutschen Atom-Krisenzentrum stapeln sich Akten und Papierberge mit japanischen Schriftzeichen, dazwischen stehen Kaffeetassen. An der Wand hängen Dienstpläne, farbig markierte Aufgabenlisten und Karten.

Mehrere Fernseher übertragen die neuesten Nachrichten aus dem knapp 9000 Kilometer entfernten Katastrophengebiet live in den kleinen Raum mitten in der Kölner Innenstadt. Bis zu zwanzig Experten sammeln hier - in der Zentrale der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) - Tag und Nacht so viele Informationen über die Atomkatastrophe wie sie bekommen können. „Mittagspause hat hier seit Freitag niemand mehr gemacht“, sagt Sprecher Sven Dokter.

Die GRS-Zentrale liegt oberhalb einer Einkaufspassage in der Kölner Fußgängerzone - „Atom-Zentrale in der Kölner City“ taufte sie eine Boulevardzeitung. Im Erdgeschoss schlürfen die Menschen Eiskaffee oder bummeln durch ein Porzellangeschäft. Kaum einer weiß, dass im vierten Stock die wichtigsten Atom-Sachverständigen des Bundes sitzen. Normalerweise ist es ruhig um die Arbeit der 1977 gegründeten gemeinnützigen Forschungsorganisation, die hauptsächlich Bund und TÜV gehört. Aber seit am vergangenen Freitag Erdbeben und Tsunami über Japan hereinbrachen und es infolgedessen zu mehreren Explosionen in Atomreaktoren kam, ist alles anders. In den Räumen der GRS herrscht Ausnahmezustand.

Normalerweise forschen die Mitarbeiter der GRS zu Themen wie Reaktorsicherheit, Entsorgung und Strahlenschutz, oder sie erstellen aufwendige Gutachten, beispielsweise zu einzelnen Atomkraftwerken. Seit Freitagmorgen kommt dazu niemand mehr - in drei Schichten beobachten und analysieren die Mitarbeiter in einem eigens eingerichteten Krisenzentrum rund um die Uhr die neuesten Ereignisse in Japan.

Quellen sind neben Medien und Pressemitteilungen auch beste Kontakte zu vielen Atom-Experten weltweit: „Da mailt man oder telefoniert und versucht, etwas rauszufinden“, sagt Dokter. Auch eine japanische Übersetzerin wurde eigens eingestellt. Die Situation an den einzelnen Reaktorblöcken im Kernkraftwerk Fukushima schätzt Dokter als „wirklich sehr gefährlich“ ein.

Die Erkenntnisse der Experten gehen direkt an das Bundesumweltministerium und werden zudem auf der Webseite der Gesellschaft veröffentlicht. „Das ist ein Puzzlespiel“, erklärt Dokter. „Wir bekommen ja ganz viele, teilweise auch widersprüchliche Meldungen. Die müssen wir dann zu einem Gesamtbild zusammensetzen.“

Für die Medien sind die Experten der GRS begehrte Ansprechpartner. Seit Freitagmorgen gab es mehrere hundert Anfragen. Aber auch besorgte Bürger und Unternehmen melden sich: „Letztens rief beispielsweise einer an, der mit seiner Familie nach Hawaii fliegen will und wissen wollte, was wir davon halten“, sagt Dokters Kollege Horst May. „Oder ein Unternehmen, das Standorte im Norden von Japan hat. Die wollten wissen, ob sie sofort ein Flugzeug chartern sollen. Aber da können wir leider auch nicht weiterhelfen.“

Seit der Tschernobyl-Katastrophe 1986 habe es so eine Ausnahmesituation für die GRS, die rund 450 Mitarbeiter an Standorten in Köln, Berlin, Garching bei München und Braunschweig hat, nicht mehr gegeben, erinnert sich May. „Und damals war ja alles noch ganz anders“ - da habe es beispielsweise keine PC-Einzelarbeitsplätze gegeben.

Für Deutschland geben die Experten des GRS Entwarnung: „Es ist zwar möglich, dass man die Strahlen hier irgendwann messen kann - aber nur, weil es so feine Messgeräte gibt. Sorgen um gesundheitliche Auswirkungen muss man sich sicher nicht machen.“ Wie es in Japan weitergeht, das können auch die Sachverständigen nicht sagen. „Prognosen wagen wir hier schon lange nicht mehr. Aber wir stellen uns darauf ein, unser Krisenzentrum noch viele Tage, wenn nicht Wochen, aufrecht zu erhalten.“ Und wenn die akute Katastrophe endlich vorbei ist, geht die Arbeit für die GRS trotzdem weiter. „Dann müssen wir analysieren: Wie konnte es dazu kommen? Und was kann man daraus für uns lernen?“