Analyse: Herr der Raben und Räuber
Er schrieb 32 Bücher, die in 55 Sprachen übersetzt wurden. „Die kleine Hexe“ und „Räuber Hotzenplotz“ wurden Klassiker der Kinderbuch-Literatur. Nun ist Otfried Preußler mit 89 Jahren gestorben.
München (dpa) - Generationen von Kindern und Erwachsenen haben seine Bücher verschlungen. Noch ehe die Kleinen die Buchstaben kannten, lasen die Eltern ihnen „Die kleine Hexe“ vor. Als Grundschüler waren sie dem „Räuber Hotzenplotz“ wissbegierig auf der Spur, der Jung-Gymnasiast vertiefte sich in „Krabat“ und dessen düstere Welt verzauberter Raben. Otfried Preußler schuf mit seinem märchenhaft-beseelten Ton eine Literatur, die alle Altersklassen fesselt und nun schon Jahrzehnte Klassiker-Status hat. Am Montag starb Preußler im Alter von 89 Jahren in Prien am Chiemsee, wie der Stuttgarter Thienemann Verlag am Mittwoch mitteilte.
Der Herr der Raben, Hexen und Räuber schrieb 32 Bücher, die in 55 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als 50 Millionen Mal verkauft wurden. Für sein literarisches Schaffen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen.
Am 20. Oktober 1923 im böhmischen Reichenberg in eine Lehrerfamilie hineingeboren, erlebte Otfried Preußler einen Vater, der als leidenschaftlicher Heimatforscher die Sagen des Isergebirges sammelte, und eine Großmutter, die ihn unermüdlich mit Geschichten fütterte. „Das Geschichtenbuch meiner Großmutter, das es in Wirklichkeit überhaupt nicht gegeben hat, ist das wichtigste aller Bücher für mich, mit denen ich je im Leben Bekanntschaft gemacht habe“, bekannte Preußler einmal.
Schon mit zwölf Jahren schrieb er selbst erste Geschichten und wünschte sich, später einmal als Schriftsteller in Prag zu leben. Doch der Zweite Weltkrieg durchkreuzte alle Pläne: Nach dem Abitur 1942 wurde Preußler einberufen und landete schließlich nach fünf Jahren russischer Gefangenschaft 1949 im oberbayerischen Rosenheim, wo er mit Glück seine Familie und seine Verlobte wiederfand. Um sich eine Existenz aufzubauen, fing er noch während des Lehrerstudiums mit dem Schreiben an - zunächst als radelnder Lokalreporter, dann als Autor für den Kinderfunk.
Sein erster großer Erfolg gelang Preußler 1956 mit dem versponnen- lustigen „Kleinen Wassermann“. Und als eine seiner drei in den 1950er Jahren geborenen Töchter aus Angst vor bösen Hexen nicht einschlafen konnte, erfand er ein Jahr darauf kurzerhand „Die kleine Hexe“, die mit Hilfe des redseligen Raben Abraxas alles dafür tut, eine gute Hexe zu werden.
1962 schließlich rief Otfried Preußler den herrlich unverschämten Räuber Hotzenplotz ins Leben, der gleich in mehreren Büchern dem tumben Wachtmeister Dimpflmoser das Leben schwer macht und mit Gert Fröbe ein legendäres Gesicht bekam. Nach dem „Kleinen Gespenst“ (1966) präsentierte Preußler 1971 schließlich seinen ersten Jugendroman „Krabat“ - das Buch über den Kampf um Freiheit, das Ringen um Macht, Magie und Liebe wurde ein Welterfolg, der in 31 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen, darunter dem Deutschen und Europäischen Jugendbuchpreis, ausgezeichnet wurde.
Aber auch zahlreiche Bilderbücher („Die dumme Augustine“), Weihnachtsgeschichten („Der Engel mit der Pudelmütze“) und immer wieder sagenhaft angehauchte Werke entstanden im Laufe der Jahre, von den „Abenteuern des starken Wanja“ über Rübezahl-Geschichten bis hin zu einer dicken Balladen-Sammlung. Eigen ist ihnen allen eine kraftvolle, etwas altertümliche Sprache, die besonders eindringlich unter die Haut ging, wenn Preußler seine Geschichten - wie in zahlreichen Hörspielen geschehen - selbst vortrug.
Jeden neuen Text stellte er zuerst vor Kindern auf den Prüfstand - eine Achtung, die sich bis heute in Dankesbriefen begeisterter Kinder widerspiegelt. „Kinder sind das beste und klügste Publikum, das man sich als Geschichtenerzähler nur wünschen kann“, meinte Preußler dazu. „Und sie sind strenge, unbestechliche Kritiker.“
Zu seinem 85. Geburtstag wurde „Krabat“ verfilmt, die Geschichte vom Müllerjungen, der nach dem Dreißigjährigen Krieg in der Oberlausitz sein Glück sucht und den Teufel findet. „Ich glaube ja nicht an Zufälle, für mich ist es Fügung, dass die Geschichte, mit der ich mich mein ganzes Leben lang auseinandergesetzt habe, ausgerechnet zu meinem 85. Geburtstag ins Kino kommt“, schrieb Preußler den Filmemachern gerührt in einem Dankesbrief.
In den letzten Jahren war es ruhig geworden um Otfried Preußler. Er gab keine Interviews mehr und lebte zurückgezogen am malerischen Chiemsee in Oberbayern. An der von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) angestoßenen Debatte um die Tilgung von Begriffen wie „Negerlein“ und „Neger“ aus „Die kleine Hexe“ beteiligte er sich nicht mehr öffentlich. Wie es hieß, sträubte er sich zwar gegen Änderungen an seinen Texten, ließ am Ende die Streichungen aber zu. Zeitlos aktuell bleiben seine Bücher auch so.