Analyse: Merkel im Euro-Stresstest

Berlin (dpa) - Eigene, relative, absolute oder Kanzlermehrheit: Als wäre die umstrittene Ausweitung des Euro-Rettungsfonds EFSF nicht schon kompliziert genug, muss sich die Koalition von Union und FDP mit allerlei Rechenspielen herumschlagen.

Die sind aber insbesondere für Kanzlerin Merkel nicht ohne.

Auch das Ausland schaut gebannt auf die Abstimmung an diesem Donnerstag unter der Reichstagskuppel, ob die mächtigste Frau in Europa sich auf ihre schwarz-gelbe Truppe noch verlassen kann.

Ein klares „Ja“ des Bundestages für die Stärkung des 440-Milliarden-Rettungsschirms gilt zwar als sicher, weil SPD und Grüne trotz scharfer Kritik mitziehen wollen.

Eine verfehlte eigene Kanzlermehrheit aber würde die Stabilität des angeschlagenen Regierungsbündnisses in Berlin weiter infrage stellen und damit das Krisenmanagement der Euro-Zone insgesamt.

Das Hickhack um Mehrheiten und Abweichler verdeckt, dass mit der erwarteten Billigung der wichtigen EFSF-Pläne die Euro-Retter allenfalls nur eine weitere Hürde nehmen. Schon im Oktober dürfte das zweite Rettungspaket für Griechenland anstehen. Und die Vorzeichen sind alles andere als günstig, dass Athen mit grünem Licht für die im Juli vereinbarten 109 Milliarden Euro rechnen kann.

Die Signale vom Peloponnes sind düster, auch wenn Premier Giorgos Papandreou gerade in Berlin vor der Elite der deutschen Wirtschaft als harter Sanierer auftrat: „Yes we can.“ Die für September geplante Auszahlung der 8-Milliarden-Euro-Kreditrate aus dem bisherigen Hilfspaket ist zur gefährlichen Hängepartie geworden.

Vom Urteil der „Troika“ - EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationaler Währungsfonds (IWF) - hängt ab, ob Griechenland die sechste, vielleicht letzte Kreditrate aus dem internationalen Rettungspaket erhält. Das dürfte im Oktober noch einmal gut gehen. Zum Jahresende könnte es dann ums Ganze gehen: Zahlungsunfähigkeit und ein radikaler Schuldenschnitt, bei dem ausländische Großbanken auf bis zu 50 Prozent ihrer Forderungen verzichten müssten: Selbst der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos soll darüber gesprochen haben, auch wenn er es später öffentlich dementierte.

Für weitere Unruhe sorgt der Vorstoß, den Start des eigentlich für Mitte 2013 geplanten dauerhaften Rettungsschirm ESM vorzuziehen. Mit ihm soll es nicht nur Instrumente für eine Gläubigerbeteiligung geben. Es können dann auch Staaten wie Griechenland in die Insolvenz geschickt werden. Noch aber steht nicht einmal das ESM-Regelwerk, so dass der Dauerschirm kaum - wie spekuliert wird - schon Anfang 2012 aufgespannt wird.

Pünktlich zur Abstimmung über die EFSF-Reform erhitzt auch die Diskussion um eine nochmalige Ausweitung des aktuellen Fonds die Gemüter. Der Grund: Die Schuldenkrise eskaliert, und auch ein gerade erst aufgestockter EFSF wäre mit 440 Milliarden Euro wohl immer noch zu klein, um die Panik an den Märkten wirksam einzudämmen.

Es geht wohl weniger um Italien oder Spanien als mögliche neue Krisenfälle. Fragezeichen stehen vor allem hinter der Kapitalkraft französischer Banken, die besonders stark in Griechenland engagiert sind. Der EFSF, der künftig an Euro-Länder Geld auch zur Stützung ihrer Banken vergeben darf, könnte überfordert sein.

Also soll die EFSF-Schlagkraft nochmals erhöht werden, was im Sinne der USA, aber auch Frankreichs und der EU-Kommission wäre. Und zwar über einen Kredithebel - ohne das Fondskapital aufzustocken. Im Kern geht es darum, aus einem EFSF-Euro fünf Euro zu machen - durch Einbeziehung anderer Geldgeber und Absicherungen.

Allein so ein Hebel-Beispiel sorgt an den nervösen Märkten dafür, dass längst über einen gigantischen Zwei-Billionen-Rettungsfonds spekuliert wird - da werden 440 Milliarden Euro mal fix mit fünf multipliziert. Bei einem Faktor von zehn wären es schon mehr als vier Billionen Euro und so weiter.

Nicht nur die SPD wirft Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nun Trickserei vor. Der hatte die Spekulationen selbst angeheizt, weil er von einer möglichst effizienten Nutzung des EFSF und von Hebel-Möglichkeiten sprach. Eine nochmalige Aufstockung nannte er zuletzt eine „dumme Idee“. Denn dann wäre die Kreditwürdigkeit der sechs Euro-Länder mit Top-Bonität bedroht - auch die Deutschlands.

Spätestens nach dem Bundestagsbeschluss aber dürfte eine höhere Schlagkraft des Fonds ganz offiziell auf die Tagesordnung kommen. Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker sagte es jüngst ohne Umschweife: Eine weitere Reform solle erst debattiert werden, nachdem in allen 17 Euro-Staaten die aktuellen Abstimmungen in trockenen Tüchern sind.