Analyse: Merkel macht Druck wegen EU-Quote

Berlin (dpa) - Mit dem Mann, der zu Besuch im Kanzleramt ist, hat Angela Merkel eigentlich gar nicht so viel gemeinsam. Sie ist Kanzlerin einer stabilen großen Koalition, er Ministerpräsident einer rot-grünen Minderheitsregierung.

Sie in der CDU, er Sozialdemokrat. Sie Physikerin mit Doktortitel, er Schweißer. Sie fast schon zehn Jahre im Amt, er seit gerade mal elf Monaten.

Aber eines eint Angela Merkel und Schwedens Regierungschef Stefan Löfven in diesen Tagen dann doch enorm. Deutschland und Schweden sind in Europa die beiden Länder, die mit Abstand die meisten Flüchtlinge aufnehmen. Und die zwei Regierungschefs, so sagt es Löfven am Dienstag wieder, sind auch „stolz“ darauf.

Die Bundesrepublik - etwa 81,1 Millionen Einwohner - erwartet 2015 mindestens 800 000 Neuankömmlinge. Der 9,6-Millionen-Menschen-Staat Schweden rechnet, wie vergangenes Jahr, mit mehr als 80 000. Pro Kopf gerechnet lässt kein anderes EU-Mitglied mehr Asylbewerber ins Land. 2014 waren es 8,4 auf 1000 Einwohner. Die Zahl für Deutschland, zum Vergleich: 2,5.

Dieses Jahr, nach der Aufnahme von weiteren Hunderttausenden in der Bundesrepublik, wird die Statistik deutlich anders aussehen. Löfven findet dafür einiges Lob, fügt aber auch hinzu: „Ich bin traurig, dass es so viele Länder gibt, die sich ihrer Verantwortung entziehen.“ So weit geht Merkel nicht. Noch hofft sie im Streit um eine verbindliche Quote zur Verteilung der Flüchtlinge auf alle 28 EU-Mitglieder auf einen Kompromiss - auch wenn es derzeit nicht wirklich danach aussieht.

In Schweden hingegen hat die Kultur des Willkommens Tradition. In den vergangenen Jahrzehnten gab es schon mehrere Flüchtlingswellen nach Skandinavien - aus dem Iran, dem Irak, dem ehemaligen Jugoslawien. 2013 bot Schweden als erstes EU-Land allen syrischen Flüchtlingen eine permanente Aufenthaltserlaubnis an. Mit Ausnahme der rechtspopulistischen Schwedendemokraten tragen alle Parteien die großzügige Einwanderungspolitik mit. Bislang jedenfalls.

Zwar ist immer noch die Mehrheit der Schweden dafür, die Grenzen offen zu halten: Anfang September gingen in Stockholm unter dem Motto „Refugees welcome“ („Flüchtlinge willkommen“) mehr als 15 000 Menschen auf die Straße. Parallel dazu verbreitet sich aber das Gefühl, dass der schwedische Wohlfahrtsstaat überfordert wird. Änderungsbedarf sehen inzwischen alle Parteien. Die Schwedendemokraten, die als einzige die Einwanderung massiv begrenzen wollen, lagen in Umfragen zuletzt bei knapp 20 Prozent.

Schweden hat Erfahrungen gemacht, die in den nächsten Jahren vielleicht auch auf Deutschland zukommen. Die durchschnittliche Wartezeit bis zur Entscheidung über einen Asylantrag liegt immer noch bei zehn Monaten. Es gibt kaum noch Wohnungen, in denen die Leute untergebracht werden können. Und es dauert, bis ein Arbeitsplatz gefunden ist - im Durchschnitt sieben Jahre. Löfven verspricht trotzdem: „Alle, die in Schweden wohnen, sollen wissen, dass sie im "System Schweden" einen Platz haben.“

Aber die Kanzlerin und er wissen, dass Europas Flüchtlingskrise nicht von ihnen allein gelöst werden kann - deshalb die Forderung nach einer Quote. Grundlage könnten Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft, Arbeitslosenrate und bisherige Aufnahme von Flüchtlingen sein. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker macht dazu diesen Mittwoch einen Vorschlag, zunächst zur Verteilung von 120 000 Flüchtlingen.

Merkel hält dies für einen „ersten wichtigen Schritt“, besteht aber auf deutlich mehr. Andernfalls drohe „riesiger Schaden für die europäische Akzeptanz“. Trotz der bösen Töne aus anderen Ländern - vor allem Ungarn - setzt sie auf eine europäische Lösung. Schließlich gehe es um den eigenen Anspruch als „Kontinent der Werte“.

Zusammen mit Löfven warnt sie aber auch davor, wegen Missachtung der gemeinsamen Regeln nun gleich mit Strafen zu drohen. „Keine öffentlichen Beschimpfungen, sondern Respekt vor der Position des anderen“, sagt die Kanzlerin. „Meine Erfahrung ist, dass man, manchmal nach längerer Zeit, doch zu einer gemeinsamen Lösung kommt.“ Schränkt dann aber ein: „Morgen wird es nicht sein und nächste Woche auch nicht.“