Analyse: Merkel und Steinbrück im Duell auf Augenhöhe
Berlin (dpa) - Peer Steinbrück braucht zwei Minuten, um sich mit Attacken gegen Angela Merkel dem Millionenpublikum am Fernseher als Bundeskanzler zu empfehlen. Er appelliert mit Blick auf die Dame neben ihm am Sonntagabend im TV-Studio Berlin-Adlershof an die Bürger: „Lassen Sie sich nicht einlullen.“
Und die Kanzlerin macht nach zwei weiteren Minuten genau das, was sie in dem wenig spannenden Wahlkampf bisher so strikt vermieden hat: Sie nennt ihren Herausforderer beim Namen. Aber ausgerechnet auf die Frage, ob er ihr angesichts zahlreicher Pannen nicht leidtue. Nein, Steinbrück brauche ihr Mitleid nicht, sagt Merkel. Da legt sie Wert auf den Namen. Beim einzigen TV-Duell vor der Wahl am 22. September schenken sich die CDU-Chefin und der SPD-Mann nichts.
Steinbrück sieht Deutschland im Stillstand, die Kanzlerin hangele sich von einem ergebnislosen Gipfel zum anderen. Merkel warnt die Wähler vor Steuererhöhungen, wenn sie SPD wählten. Das zerstöre Arbeitsplätze und verhindere den dringend nötigen Schuldenabbau.
Die beiden Spitzenpolitiker bleiben aber während der 90-minütigen Veranstaltung fair. Sie argumentieren hart in der Sache und verzichten weitgehend auf Polemik und persönliche Angriffe. Sie wenden sich auch zu und schauen sich in die Augen. Zweimal wird Merkel ermahnt, dass sie länger antworte als Steinbrück. Die Kanzlerin lässt sich aber auch nicht von ProSieben-Entertainer Stefan Raab unterbrechen und ermahnt vielmehr ihn, er möge sie ausreden lassen. Steinbrück verzichtet auf billige Wahlversprechen und garantiert etwa keine sinkenden Strompreise.
Besonders scharfe Angriffe Steinbrücks versucht Merkel mit einem Lächeln zu parieren. So bei seinem Vorwurf, sie habe in der NSA-Geheimdienstaffäre ihren Amtseid verletzt, weil sie Schaden nicht vom deutschen Volk abwende. Er versichert, er würde als Kanzler nicht wie Merkel wochenlang auf Informationen aus Washington über das Ausmaß der US-Ausspähungen warten, sondern handeln. Merkel kontert: „Ich handele nicht erst und denke dann nach, sondern mache es umgekehrt.“
Steinbrück setzt auf scharfe Abgrenzung der SPD von der Union. Er preist sich als Politiker mit „Kompassweisung“, Merkel wirft er eine Politik des „Ungefähren“ und „vier Jahre schwarz-gelben Kreisverkehr“ vor. Steinbrück: „Ich möchte die Wählerinnen und Wähler motivieren, in die Schachteln hineinzugucken.“ Er will ein Reformpaket mit einem gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde. Ferner will er mit höherer Besteuerung von Spitzenverdienern mehr Geld in Kitas und Schulen pumpen.
Merkel will dagegen regional- und branchenspezifische Lohnuntergrenzen - verhandelt von den Tarifpartnern und nicht vom Gesetzgeber bundesweit verordnet. Sie verweist auf die gute wirtschaftliche Lage Deutschlands und die niedrige Arbeitslosigkeit. Auch deshalb sehen Demoskopen bisher kaum Wechselstimmung.
Immer wieder weicht Merkel Festlegungen aus, etwa bei der Pkw-Maut. Als Steinbrück auf „Klartext“ hierzu pocht, macht sie schließlich klar: „Mit mir wird es eine Maut für Autofahrer im Inland nicht geben.“ Mit dem Zusatz „im Inland“ verhindert sie gerade noch einen Frontalcrash mit CSU-Chef Horst Seehofer, der ohne Maut für Ausländer keinen Koalitionsvertrag unterschreiben will.
Als Raab Merkel fragt, ob bei ihr im „Wahl-O-Mat“ wegen ihrer vielen Richtungswechsel nicht womöglich die SPD als Ergebnis herauskommen könne, betont Merkel: „Ich glaube, dass da gut CDU rauskommen kann.“ Raab - wie immer ohne Krawatte - durfte erstmals das Duell mitmoderieren, neben Kloeppel, Maybrit Illner (ZDF) und Anne Will (ARD).
Das Duell wurde im Vorfeld zu Steinbrücks letzter Chance aufgeladen. Schließlich dümpelt die SPD in Umfragen bei 22 bis 25 Prozent, während die Union auf rund 40 Prozent kommt. Was bringt so ein Duell? 2005 hätten sich nach dem Duell zwischen der damaligen CDU-Herausforderin Merkel und Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 2,9 Millionen bis dahin Unentschlossene entschieden, doch SPD zu wählen, sagt der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner. Dennoch wurde Merkel am Ende Kanzlerin.
Vor der Bundestagswahl 2009 ging das TV-Rennen zwischen Merkel und ihrem SPD-Herausforderer Frank-Walter Steinmeier ohne klaren Sieger aus. Laut Demoskopen gab es kaum einen Effekt. Merkel blieb Kanzlerin und konnte ihre Wunschkoalition mit der FDP bilden. 2013 sind bisher viele Wähler unentschlossen, ob und wen sie wählen. Daher kann dieses Duell durchaus eine Entscheidungshilfe gewesen sein. Umfragen zufolge wünscht sich die Mehrheit genau das, was Steinbrück und Merkel in Sendung ablehnten. Eine große Koalition.