Analyse: Römische Chaostage

Rom (dpa) - Silvio Berlusconi hat etliche Skandale überstanden - jetzt kämpft er angesichts der Euro-Krise aber ums politische Überleben. Vor dem EU-Gipfel erreicht er in letzter Minute eine Einigung in seiner Koalition.

Zugleich wird bereits über seinen Rücktritt spekuliert.

In Marathonsitzungen und separaten Verhandlungen hat der angeschlagene italienische Premier es in letzter Minute erreicht, dass er beim wichtigen EU-Gipfel in Brüssel nicht mit leeren Händen dasteht. Die römische Presse spricht von einer „Mini-Vereinbarung“ zu den Renten in Italien. Mit ihr wolle er die von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy verlangten Perspektiven für einen Weg Italiens aus dem Schuldensumpf geben. In einem angeblichen „geheimen Pakt“ mit seinem Koalitionspartner Umberto Bossi Lega Nord soll er dafür laut Zeitungsberichten versprochen haben, bis Januar zurückzutreten - das hätte wohl im März Neuwahlen zur Folge.

Die Lega dementierte diesen Kuhhandel allerdings umgehend: „Einen solchen geheimen Pakt gibt es nicht“, sagte Sprecherin Nicoletta Maggi am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur dpa. „Diese Zeitungsberichte sind fabriziert worden, sie sollen die Regierung an dem Tag unterminieren, an dem Berlusconi nach Brüssel reist, um den Regierungsplan (zu Italiens Reformen) vorzustellen.“

Das haben die Gerüchte bereits erreicht: Der sonst so selbstbewusste „Cavaliere“ wirkt vor dem EU-Sondergipfel angeschlagen. Nachdem eine Kabinettssondersitzung im Rom den Streit in der Koalition aus Berlusconis „Volk der Freiheit“ (PdL) und Bossis populistischer Lega Nord vertieft hatte, munkelte man in Regierungskreisen sogar, der 75-jährige Berlusconi wolle erst gar nicht nach Brüssel reisen. Auch dies dementierte sein Sprecher prompt. Doch Berlusconi brauchte zumindest noch einen Brief mit Absichtserklärungen an Brüssel. Man solle ihm eine Blamage in Brüssel ersparen, so soll er gebeten haben. Stellte Bossi dafür Bedingungen?

„Unfähig, Italien zu retten, versuchen sie verzweifelt, sich selbst zu retten“, darauf habe sich die einst titanische Kraft des „Berlusconismo“ reduziert, kommentierte die römische „La Repubblica“, eine Speerspitze im Kampf gegen den umstrittenen Premier.

In dem von der Lega Nord dementierten Pakt soll Berlusconi als Zugeständnis seinen Rücktritt und Neuwahlen angeboten haben - damit er in Brüssel zumindest etwas das Gesicht wahren kann. Demnach soll sich Lega-Nord-Chef Bossi auf ein Anheben des Rentenalters auf 67 eingelassen haben, nicht aber auf die als weit entscheidender angesehene Anhebung der Zahl der dafür notwendigen Arbeitsjahre.

„Mit jedem Tag in der Regierung verlieren wir Stimmen“, soll Bossi den Seinen schon wiederholt gesagt haben. Der für seine starken Worte bekannte Lega-Chef hatte zuvor noch gegen Rentenreformen gewettert, nur „um den Deutschen zu gefallen.“ Politische Beobachter gehen schon länger davon aus, dass der von Skandalen und Prozessen so umzingelte Silvio Berlusconi erst das Handtuch werde werfen müsse, wenn die aufmüpfige und querdenkende Lega Nord den Stecker zieht. Denn unter den Trümmern einer eingestürzten Regierung Silvio Berlusconi wollen die Norditaliener nicht begraben werden. Und das hat Tradition: Die Lega brachte bereits 1994 die erste Regierung Berlusconis zu Fall.

„Du hast nicht kapiert, dass Du das Problem bist“, mit diesen harschen Worten an die Adresse seines Premiers wird Giulio Tremonti von der Turiner „La Stampa“ zitiert. Der Wirtschaftsminister liegt seit einiger Zeit mit seinem Regierungschef im Clinch, ein Streit, der Berlusconi zusätzlich zu schaffen macht. Wenig zimperlich in seiner Wortwahl ist aber auch der „Cavaliere“ selbst nie gewesen. Er trat verbal in etliche Fettnäpfchen, zuletzt wurde er mit angeblichen äußerst unflätigen Äußerungen über Bundeskanzlerin Merkel zitiert.

Nach verlorenen Kommunalwahlen und Volksabstimmungen spürt der einst so erfolgsverwöhnte Medienzar und Milliardär zunehmend die Daumenschrauben der Märkte, der Europäischen Zentralbank und seiner Amtskollegen. Von Amtsmüdigkeit war schon wiederholt die Rede. Was aber, wenn die Spekulation über einen Pakt Berlusconis mit Bossi nur Spekulation bleibt? Oder wenn Berlusconi im Frühjahr kommenden Jahres als „Kandidat-Premier“ erneut antritt, wie „La Repubblica“ bereits mutmaßte? Bis das klarer wird, könnte noch viel Wasser den Tiber hinabfließen, und Rom noch vor einer Reihe solcher Chaostage stehen.