Analyse: Rohstoff Braunkohle weiter heftig umstritten

Leipzig/Essen (dpa) - Steigende Strompreise, Sorge um die Versorgungssicherheit, Suche nach dem ultimativen Energiemix: In Deutschland tobt seit dem Beschluss zum Atomausstieg 2011 der Streit um die richtige Energieversorgung.

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Für Zündstoff sorgt dabei die Braunkohle - sie ist im eigenen Land massenhaft vorhanden und verführerisch günstig, dabei aber zugleich extrem belastend für Anwohner und Atmosphäre. Mit dem Beschluss der rot-grünen NRW-Landesregierung zur Verkleinerung des größten deutschen Braunkohlereviers Garzweiler II am Niederrhein vergangene Woche hat die Debatte eine überraschende Wendung genommen.

Noch vor kurzem sah die besonders klimaschädliche Braunkohle wie der heimliche und paradoxe Sieger der Energiewende aus: Weil die hohe Stromerzeugung aus Wind und Sonne die Börsenstrompreise tief nach unten drückte, kamen umweltfreundliche und flexible Gaskraftwerke 2013 kaum noch zum Zug. Stattdessen erreichte ausgerechnet die Stromproduktion aus der als Klimakiller geltenden Braunkohle mit 162 Milliarden Kilowattstunden den höchsten Wert seit 1990.

Trotz milliardenschwerer Förderung der erneuerbarer Energien und einem Ökostromanteil von mittlerweile rund einem Viertel stieg der CO2-Ausstoß in Deutschland 2012 - und nach den vorliegenden Daten auch 2013. Dabei machen Wissenschaftler des Umweltbundesamtes (UBA) in Dessau-Roßlau die deutsche Kohlestromproduktion für rund ein Drittel der das Klima schädigenden CO2-Emissionen verantwortlich. Umweltschützer warnen angesichts des unverhofften Kohlebooms, dass Deutschland seine Klimaziele insgesamt verfehlen könnte.

Andererseits ist Braunkohle neben den Erneuerbaren die einzige Energieform, die zu 100 Prozent im eigenen Land gewonnen wird und auch noch über Jahrzehnte gewonnen werden kann, wie der Bundesverband Braunkohle bekräftigt. Angesichts der Debatte über Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-krise bekommt dieses Argument aktuell mehr Gewicht.

Von Gas bis Steinkohle - überall mussten die Stromkonzerne in der Erzeugung 2013 teils massive Gewinneinbrüche hinnehmen. Deshalb war die Bereitschaft von RWE, Vattenfall und Co. gerade in der aktuellen Versorgerkrise äußerst gering, auf die sicheren Gewinne der Braunkohle zu verzichten. Die Unternehmen konnten auch darauf verweisen, dass moderne Kraftwerke deutlich effizienter arbeiten: Das 2012 in Betrieb genommene RWE-Großkraftwerk in Grevenbroich-Neurath etwa produziert laut RWE bei gleicher Leistung rund 30 Prozent weniger CO2 als alte Anlagen.

Die ostdeutschen Kohleförderer Vattenfall und Mibrag wollen ihre Produktion sogar weiter ausdehnen. Gerade genehmigte das sächsische Innenministerium trotz Protesten die Erweiterung des Tagebaus Nochten im Nordosten des Landes. Der Energiekonzern Vattenfall will in der Region unweit der Grenze zu Brandenburg ein neues Abbaugebiet erschließen und dort 300 Millionen Tonnen Braunkohle fördern. Die Umweltschutzorganisation BUND erwägt eine Klage dagegen. Mit der Ausdehnung des Tagebaus Nochten droht mehr als 1500 Einwohnern die Umsiedlung. Insgesamt sind es sogar 3000 Lausitzer, weil Vattenfall noch zwei andere Tagebaue ausdehnen will.

Dann kam vergangenen Freitag völlig überraschend der NRW-Beschluss zur Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler II. Etwa 300 Millionen von insgesamt 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle sollen nun nicht mehr ausgebaggert werden. Dadurch müssten dort rund 1400 Menschen weniger aus dem Abbaugebiet umgesiedelt werden als ursprünglich geplant.

Das gab auch den Braunkohle-Gegnern in der Lausitz neuen Auftrieb. Im Rheinland sei das Abbaugebiet trotz bestehenden Braunkohleplanverfahrens reduziert worden, erklärte dort die Umweltorganisation Grüne Liga. Nun sei es „höchste Zeit für ein Umdenken“ auch in Brandenburg und Sachsen.

Trotz Zwangsumsiedlungen und tiefen Eingriffen in Natur und Landschaft - Braunkohle gibt Zehntausenden Menschen gut bezahlte Jobs. Nach Angaben des Bundesverbandes Braunkohle hängen in Deutschland 86 000 Arbeitsplätze vom Braunkohlenbergbau und der -stromerzeugung ab. Direkt in der Braunkohleindustrie und den Kraftwerken waren es Ende 2013 rund 22 100 Mitarbeiter. Fast die Hälfte entfiel auf die neuen Bundesländer. In Sachsen wie in NRW bekennen sich die Landesregierungen trotz aller Umweltbedenken zu dem Energieträger. Ein schneller Braunkohleausstieg nach dem Vorbild der Atomwende 2011 nach Fukushima ist - trotz des ersten Abrückens der Politik in NRW - deshalb unwahrscheinlich.