Analyse: Türkei bietet sich Arabern als Vorbild an
Istanbul (dpa) - Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat die Proteste Hunderttausender Ägypter gebannt vor dem Fernsehschirm verfolgt. „In der Nacht habe ich bis in die späten Stunden zugeschaut“, sagt der islamisch-konservative Regierungschef während einer Auslandsreise in Kirgistan.
Diplomatisch verpackt legt er Präsident Husni Mubarak einen Rücktritt nahe. Das ägyptische Volk traue dem bisherige System nicht mehr, wenn es um schnelle Schritte zum Aufbau einer Demokratie gehe, sagt der starke Mann Ankaras.
Für die Zeit nach Mubarak bietet sich die Türkei aktiv als Vorbild für Ägypten, aber auch andere arabische Staaten der Region an. Während in mehreren Staaten Proteste gegen autoritäre Regime angelaufen sind und die politischen Führer nervös Reformen versprechen, haben türkische Politiker die Rolle ihres Landes als Modell für die Nachbarschaft ins Spiel gebracht.
In der Türkei gibt es eine ganz überwiegend muslimische Bevölkerung, die nach westlichen Lebensstandards strebt und in den vergangenen Jahren unter einer islamisch-konservativen Regierung ein kräftiges Wirtschaftswachstum erlebt hat. Dies wird wird auch gespeist von der engen wirtschaftlichen Anbindung an die Europäische Union. Eine starke Armee wacht über die Verfassung der von Mustafa Kemal Atatürk gegründeten Republik, während sich die Parteien einen demokratischen Wettstreit um die Gunst der Wählern liefern müssen.
Nun hat auch die türkische Demokratie nicht ohne Reibereien, erbitterte Machtkämpfe, Verletzungen der Pressefreiheit, Angriffe auf politische Gegner und Menschenrechtsverletzung funktioniert. Minderheiten wurden vertrieben. Der Kurden-Konflikt ist ungelöst. Mehrfach putschte das Militär. Und Atatürk konnte seine gesellschaftlichen Reformen nach dem Ende des Osmanischen Reiches oft nur mit dem Knüppel durchsetzen.
Doch erscheine viele Arabern eine Demokratie auf dem Stand der heutigen Türkei als eine erstrebenswerte Erfolgsgeschichte, heißt es aus der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP, deren Politiker selbst Wurzeln im Islamismus haben. „Das ägyptische Volk will eine Demokratie wie in der Türkei“, sagt der AKP-Vizevorsitzende Ömer Celik, ein enger Berater des türkischen Regierungschefs.
Für seine eigenen Reformen hat Erdogan in den vergangenen Jahren aber immer wieder eine politische Vision benötigt, die über die Grenzen des eigenen Landes hinausgeht. Im Falle der Türkei ist das die Mitgliedschaft der EU. Mit diesem Ziel als Trumpfkarte konnte Erdogan seinem Volk, aber auch der Armee und dem Staatsapparat immer Veränderungen zumuten, die sonst kaum durchzusetzen gewesen wären. Investoren wiederum setzten auf die Türkei, weil sie auf gute Geschäfte hofften.
Die Türkei selbst positioniert sich nun für eine Führungsrolle im Nahen und Mittleren Osten. US-Präsident Barack Obama hat Erdogan angerufen, um mit ihm die Lage in Ägypten und der arabischen Welt zu beraten. Erdogan soll die Opposition in Kairo sehr unterstützt haben, berichten türkische Medien. „Wir sind alle sterblich“, sagte Erdogan unterdessen an den 82-jährigen Mubarak gerichtet. „Zu unserem Vermächtnis werden wir dann Rede und Antwort stehen.“