De Maizières Reform: Keine Abkehr von Guttenberg

Berlin (dpa) - Normalerweise haben neue Minister 100 Tage Zeit, um sich in Ruhe in ihren Job einzuarbeiten. Für Verteidigungsminister Thomas de Maizière galt das nicht.

Nach gerade einmal 76 Tage im Amt stand der CDU-Politiker am Mittwoch in der Berliner Julius-Leber-Kaserne vor einigen hundert Spitzenmilitärs, Politikern und Journalisten, um eins der größten Reformpakte zu präsentieren, das die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode zu stemmen hat.

Stapelweise Akten wälzte er dafür in den vergangenen elf Wochen und führte dutzende Gespräche. Frühere Staatssekretäre, Generalinspekteure und Sicherheitsexperten konsultierte er ebenso wie Bundestagsabgeordnete und Ex-Minister. Auch mit seinem Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sprach er mehrmals über das, was zum tiefgreifendsten Umbau der Bundeswehr in ihrer Geschichte werden könnte.

Guttenberg hatte bei seinem Abgang Anfang März den Eindruck vermittelt, sein schon fertiges Reformkonzept könne von seinem Nachfolger einfach so übernommen werden. Von einem „bestellten Haus“ sprach er damals. De Maizière sah das anders und legte noch einmal kräftig Hand an. Was er jetzt präsentiert, ist trotzdem alles andere als ein Neubau. Guttenbergs Reformarchitektur bleibt weitgehend bestehen - mit einigen Umbauten und vor allem einem solideren Fundament.

Die wohl größte Leistung de Maizières besteht darin, dass er Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dazu überreden konnte, ihm einen Sparbonus zu geben. Die Versorgungskosten für den Personalabbau bei der Bundeswehr sollen aus dem Verteidigungsetat ausgelagert werden. Das kann das bisher geltende Spardiktat von 8,3 Milliarden Euro bis 2015 deutlich abmildern - um wie viel, entscheidet sich aber erst in den Haushaltsverhandlungen. Der Entwurf soll Anfang Juli vom Kabinett beschlossen werden.

Die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten soll wie schon von Guttenberg geplant von derzeit knapp 190 000 auf 170 000 reduziert werden. Bei den freiwillig Wehrdienstleistenden kalkuliert de Maizière dagegen etwas vorsichtiger. Er würde sich schon mit 5000 zufriedengeben. Guttenberg hatte sich auf 7500 bis 15 000 festgelegt. Das war aber noch zu einem Zeitpunkt, als er skeptischen Unionspolitikern die Abschaffung der Wehrpflicht schmackhaft machen musste.

De Maizière geht nun auf Nummer sicher und setzt die Kalkulation an der untersten Kante an. Damit können schon 6000 Freiwillige als Erfolg gewertet werden. Und nach aktuellen Zahlen des Verteidigungsministerium läuft die Anwerbung gar nicht so schlecht, wie gemeinhin angenommen. In diesem Jahr wurden bereits 9400 Freiwillige rekrutiert.

Ebenso wie Guttenberg plant auch de Maizière, die Bundeswehr einsatzfähiger zu machen. Obwohl die Streitkräfte schrumpfen, sollen mehr Soldaten in die Einsätze geschickt werden können - 10 000 statt bisher 7000. Was wie die Quadratur des Kreises klingt, soll durch die Straffung der Strukturen erreicht werden.

Nach Überraschungen muss man in dem Konzept de Maizières suchen. Zum Beispiel plädiert der Minister dafür, dass die Beteiligung an Auslandseinsätzen nicht mehr nur nach nationalen Kriterien entschieden werden soll. Deutschland soll seine Truppen seiner Meinung nach auch aus reiner internationaler Verantwortung - als viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt - in Auslandseinsätze schicken. „Wenn Wohlstand Verantwortung erfordert, dann gilt das auch für die deutsche Sicherheitspolitik“, sagt er. Eine solche Haltung könnte für Zündstoff sorgen.

Die ganz großen Streitfragen bleiben in de Maizières Konzept aber noch ausgeklammert. Erst im Oktober soll darüber entschieden werden, welche der 400 Standorte als Folge der Bundeswehrverkleinerung geschlossen werden. Der Kampf um jede einzelne Kaserne hat bereits begonnen. Ein weiteres dickes Brett wird die mögliche Konzentration des Ministeriums in Berlin sein. Derzeit sitzt der überwiegende Teil der Mitarbeiter noch in Bonn. Während unter Guttenberg der Komplettumzug schon vom Tisch schien, könnte das Fass jetzt wieder aufgemacht werden. „Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass es diesen Handlungsbedarf gibt“, sagt de Maizière.

Die Umsetzung der Reform könnte sechs bis acht Jahre dauern. Mit welchem Namen sie dann in erster Linie verbunden wird, wird man sehen. Die Autorenschaft will de Maiziére schon jetzt nicht für sich alleine beanspruchen. Zu den Leistungen seines Vorgängers sagt er: „Er hat dieses große Rad angeworfen. Das ist und bleibt sein Verdienst.“ Für den Start der Reform brauchte es wohl einen Draufgänger wie Guttenberg. Für die Ausgestaltung könnte ein ausgewiesener Bürokratie-Fachmann wie de Maizière genau der Richtige sein.