Hoffnung für Balkanländer EU äußert vernichtende Kritik an Entwicklung der Türkei

Straßburg (dpa) - In ihrem neuen Türkei-Bericht äußert die EU-Kommission vernichtende Kritik an der Politik des islamisch-konservativen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

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„Die Türkei hat sich in großen Schritten von der EU wegbewegt“, heißt es in der Bewertung der EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Land. Konkret ist zum Beispiel von deutlichen Verschlechterungen der Rechtsstaatlichkeit und der Presse- und Meinungsfreiheit die Rede.

Die EU-Kommission verweist in ihrem Bericht darauf, dass seit der Einführung des Ausnahmezustandes nach dem gescheiterten Putsch 2016 bereits mehr als 150.000 Menschen in Haft genommen wurden. Zudem sei es zur Entlassung Zehntausender Beamter gekommen.

Eine Empfehlung, die praktisch bereits auf Eis liegenden Beitrittsgespräche mit der Türkei auch offiziell auszusetzen, sprach die Kommission allerdings nicht aus. Ein solcher Schritt könnte aus Sicht der Kommissionsspitze zum Beispiel die Vereinbarungen zur Flüchtlingskrise gefährden. Der Flüchtlingspakt gilt als ein Grund dafür, dass derzeit deutlich weniger Migranten nach Europa kommen als noch 2015.

„Die EU ist strategisch wichtiger Partner und wird es auch bleiben“, kommentierte der zuständige EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn. Eine Empfehlung für ein offizielles Aussetzen der Beitrittsverhandlungen ergebe auch deshalb keinen Sinn, weil die Mehrheit der EU-Mitgliedsländer weiter dagegen sei.

Um wieder mehr Vertrauen zu schaffen, fordert die EU-Kommission die Türkei auf, unverzüglich den Ausnahmezustand aufzuheben, der nach dem Putschversuch vom Juli 2016 verhängt worden war.

Neben den Entwicklungen in der Türkei bewertete die EU-Kommission auch die Lage in den Kandidatenländern Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien. Die sechs Balkanstaaten bekamen ein deutliches besseres Zeugnis ausgestellt - auch wenn sie weiter vor riesigen Reformherausforderungen stehen.

Wegen der Fortschritte in Albanien und Mazedonien empfahl die Kommission nun sogar die Aufnahmen von offiziellen Beitrittsverhandlungen mit den Ländern. Gespräche dieser Art laufen derzeit nur mit Montenegro und Serbien. Bosnien-Herzegowina und das Kosovo gelten lediglich als potenzielle Kandidaten für Verhandlungen.

Die endgültige Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien müssen nun die EU-Mitgliedstaaten treffen. Ob es in ihrem Kreis die notwendige Einstimmigkeit gibt, gilt allerdings als fraglich. Mazedoniens Nachbar Griechenland blockierte wegen eines Namensstreites bisher jede Annäherung des Landes an die Nato und EU. In der Auseinandersetzung geht es darum, dass Griechenland will, dass Mazedonien seinen Namen ändert. Grund ist, dass auch der nördliche Teil Griechenlands den Namen Mazedonien trägt.

Der französische Präsident Emmanuel Macron warnte alle Balkanländer am Dienstag ganz allgemein vor zu großen Erwartungen. Er sieht eine Reform und Vertiefung der Europäischen Union als Bedingung für einen möglichen Beitritt der Westbalkanstaaten.

Auch die Bundesregierung hatte zuletzt immer wieder vor allzu viel Optimismus gewarnt. Sie sah es vor allem kritisch, dass die EU-Kommission den Westbalkanstaaten in Aussicht gestellt hatte, bei entsprechenden Reformen bis zum Jahr 2025 der EU beitreten zu können.

Für Albanien dürfte dennoch schon die Empfehlung für Beitrittsgespräche eine gute Nachricht sein. Das Land mit drei Millionen Einwohnern ist eines der ärmsten Europas. Trotz großer Fortschritte gibt es weiter in allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und staatlichen Bereichen Korruption. Wer kann, versucht, ins Ausland zu kommen - vor allem nach Italien jenseits der Adria.

Auch Mazedonien kann etwas Hoffnung gebrauchen. Das kleine Land mit 2,1 Millionen Einwohnern leidet unter seinen nationalen Problemen. Schätzungsweise ein Viertel bis ein Drittel der Bürger sind Albaner. Die slawische Mehrheit kann sich nur schlecht damit abfinden, dass die Minderheit nach den neuen Gesetzen anteilsmäßig in Behörden und im Bildungssystem vertreten sein muss.